Morgaine 2 - Der Quell von Shiuan
Halsschnüren zu fummeln, wobei er einige durchreißen mußte, dann an den Schnallen an Hüfte und Schulter, und das ließ so manches feuchte Lederstück aufbrechen.
Jhirun rückte heran, um ihm zu helfen; sie zupfte die Schnallen locker und half ihm beim Abnehmen der ledernen Schutzhülle und des qualvoll schweren Kettenhemdes. Von der Last befreit, stöhnte er erleichtert auf und war einen Augenblick lang zufrieden, einfach nur zu atmen. Dann kam das ärmellose Unterhemd aus Leinen, das feucht und verschmutzt und stellenweise sogar blutig war.
»Oh, mein Lord!« murmelte Jhirun mitfühlend. Abgestumpft betrachtete er sich selbst und sah, wie die Rüstung seine feuchte Haut gezeichnet, stellenweise sogar durchgedrückt hatte, wo das Unterhemd faltig gewesen war. Er stand zusammenzuckend auf, zog sich das Hemd vom Leib und ließ es zu Boden fallen. Er zitterte in der kalten Luft.
Zur Kleidung auf dem Tisch gehörten auch mehrere Hemden, die weich und dünn waren; aus einem Material, wie er es nicht kannte. Es gefiel ihm nicht, wie sich das zu lockere Gewebe anfühlte, doch als er ein Hemd anzog, lag der Stoff leicht auf seinen wunden Schultern, und er war dankbar, etwas Sauberes und Trockenes am Leibe zu haben.
Jhirun trat vor und suchte schüchtern unter den
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Gaben nach etwas, das sich für sie eignete. Sie fand den Stapel, entfaltete das obenaus liegende braune Kleidungsstück und starrte es an, als lebte es und wäre ihr feindselig gesonnen — ein braunes Gewand, wie es die Dienstboten trugen.
Er sah es und fluchte; dann riß er ihr das Ding aus der Hand und schleuderte es zu Boden. In ihrer nassen Kleidung wirkte sie klein und elend und blickte ihn erschrocken an.
Er hob ein Hemd und ein Paar Hosen. »Nimm die!« sagte er. »Deine Sachen werden trocknen.«
»Lord«, sagte sie mit zitternder Stimme. Sie nahm ihm die Sachen ab und drückte sie sich an die Brust. »Bitte laß mich an diesem Ort nicht allein.«
»Zieh dich an!« sagte er und wandte den Blick ab; er haßte ihr Flehen und den Kummer in ihrer Stimme, sie, die zu ihm aufblickte, die vermutlich auf alles eingehen würde, nur um Bestätigung für seine Lügen zu finden.
Die ihm noch mehr glauben mochte, wenn sie solche Bestätigung fand.
Unverheiratete Mädchen aus den Landgebieten Andurs und Kurshs waren für die
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der hohen Klans eine Kleinigkeit — Bauernmädchen, die den Bastard eines
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zu tragen hofften, um danach ein bequemes Leben zu führen: eine Verpflichtung gegenüber dem
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eine Sache der Ehre. Aber in solchen Angelegenheiten wußten beide, wie die Dinge liefen. So etwas gründete sich nicht auf Lügen oder Angst.
»Lord«, sagte sie noch einmal von der anderen Seite des Raums.
Er wandte sich um und sah sie an, die in ihrem rauhen Bauernrock vor ihm stand, Hemd und Hose an sich gepreßt.
Von draußen waren Männerschritte zu hören, ein unheildrohendes, kriegerisches Geräusch. Vanye hörte es, hörte die Schritte stocken. Jhirun eilte an seine Seite. Der Türriegel wurde polternd angehoben. Vanye sah sich um, als der Türflügel aufging und einen kalten Hauch ins Zimmer trug und das Feuer in Bewegung brachte; auf der Schwelle stand ein Mann in Grün und Braun, der sich auf ein Langschwert stützte — und Vanye mit einem Ausdruck ernsthafter Verwunderung musterte.
»Cousin«, sagte Roh.
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»Roh«, antwortete Vanye und hörte ein Rascheln von Stoff zu seiner Linken: Jhirun, die sich an ihn drängte. Er wandte den Kopf nicht in ihre Richtung und hoffte nur, daß sie neutral bleiben würde. Er stand in Hemd und Hosen da; Roh dagegen war in Rüstung gekommen. Er war waffenlos, während Roh ein Langschwert in der Hand trug, allerdings in der Scheide.
Es hatten sich im Zimmer keine Waffen gefunden, weder ein Messer bei den Speisen noch ein Eisen am Feuer.
Verzweifelt rechnete sich Vanye aus, wie weit er mit der eigenen Geschicklichkeit kommen würde, ein waffenloser Schwertkämpfer, gegen einen Schwertkämpfer, dessen Lieblingswaffe der Bogen gewesen war.
Roh stützte sich noch schwerer auf den Knauf des Schwerts und schickte die Wachen auf dem Korridor mit einer schnellen Bemerkung über die Schulter fort. Dann richtete er sich auf und breitete in einer Geste des Friedens die Arme aus.
Vanye bewegte sich nicht. Roh warf das Schwert hoch und fing es mit einer Hand in der Mitte der Scheide auf; mit spöttisch übertriebener Geste legte er es auf den Tisch neben der Tür. Dann trat er mehrere Schritte vor,
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