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Morgen ist der Tag nach gestern

Morgen ist der Tag nach gestern

Titel: Morgen ist der Tag nach gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechtild Borrmann
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fragte den Busfahrer. Ich fuhr die Seitenstraßen ab. Ich lief im Park die Wege ab und rief ihren Namen über den Rasen, zwischen die Bäume, über den Teich
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    Zu Hause hatte er die Küchenuhr anzutreiben versucht, damit der nächste Bus sein Kind nach Hause bringt. Im Park wollte er die Zeit anhalten. Jede Minute fraß ein Stück seiner Zuversicht, weichte sie auf, machte sie durchlässig für schreckliche Ahnungen.
    Marion erreichte mich auf dem Handy. Sie weinte. Daniel war da. Er würde zu Laila fahren. Simon suchte mit dem Fahrrad die Feldwege in der Umgebung ab
.
    Ich weiß nicht, ob es ihr Weinen war, oder der Satz: Simon sucht auf den Feldwegen! Aber ich weiß, dass es sich anfühlte wie schwarzes, langsam steigendes, eiskaltes Wasser. Wie in einem Sog versank ich tiefer und tiefer. Mein Herz stolperte einige Male und dann raste es vor Angst. Mein Verstand suchte nach logischen Erklärungen. Erklärungen, die beruhigen sollten. Erklärungen, die die schrecklichen Ahnungen, die unter der Angst warteten, widerlegen sollten
.
    Es war kurz nach fünf Uhr als ich wieder zu Hause war. Marion kam sofort herausgelaufen. Auf halbem Weg blieb sie abrupt stehen und starrte mich ungläubig an. Ich habe es gesehen!
    Er setzt das Ausrufezeichen und nickt.
    Es sind solche kleinen Dinge, die von allergrößter Bedeutung sind. Es sind solche kleinen Dinge, deren Bedeutung man erst sehr viel später begreift.
    Wir riefen die Polizei an. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen, schleuderte meine Angst diesem Mann am andern Ende der Leitung entgegen. Was er zu sagen hatte, klang beruhigend: Fünfundneunzig Prozent aller vermissten Kinder tauchen wohlbehalten wieder auf. Nun bleiben Sie mal ruhig. Ich schicke Ihnen eine Streife
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    Ich glaube, es war diese Prozentzahl, die mich tatsächlich beruhigte. Die restlichen fünf Prozent, so schien es mir, waren zu klein für meine Tochter
.
    Ich sagte Marion, was der Polizist gesagt hatte. Sie zeigte keine Regung. Ihr hübsches Gesicht mit den großen Augen, ihre dunklen Locken, ihre fein gezeichneten Lippen, alles schien wächsern und in Auflösung begriffen. Mit einer Stimme, die ich noch nie gehört hatte, einer fast kindlichen, vorwurfsvollen Stimme, sagte sie: Du hast sie nicht gefunden!
    Dann ging sie ins Wohnzimmer und setzte sich in den breiten, schwarzen Ledersessel. Sie zog die Beine auf die Sitzfläche und starrte zum Fenster hinaus
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    Er war, zusammen mit diesem Vorwurf, in der Küche zurückgeblieben.
    Die Streife kam. Ein junger Mann und eine junge Frau. Sie stellten Fragen, ließen sich den Verlauf des Tages erklären. Marion lehnte an der Spülmaschine, musste immer lange nachdenken, bevor sie antwortete. Sie fragten nach Streit und nach Schulproblemen, nach unerlaubten Freunden und ob sie mal Miriams Zimmer sehen könnten
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    Ich erinnere mich, dass meine Frau mich ansah: Für einen Augenblick war wieder Leben in ihrem Gesicht. Wir hatten den gleichen Gedanken. Mein Gott, ihr Zimmer! Sie ist in ihrem Zimmer! Sie macht Hausaufgaben … sie schläft … sie liegt auf dem Bett und hat die Stöpsel ihres MP3-Players in den Ohren
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    Ich sprang auf und rannte los, nahm mit jedem Schritt zwei Stufen auf einmal
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    Er sieht es noch vor sich. Die dunkelblaue Tagesdecke mit silbernen Monden und goldenen Sternen über das Bett gelegt. Am Kopfende Sanna, Miriams Stoffpuppe, die sie in ihren ersten Lebensjahren immer mit sich rumgeschleppt hatte und die auch heute noch nachts nicht fehlen durfte. Auf dem Schreibtisch lagen Schulbücher und Hefte. An der Wand ein Poster von Robbie Williams neben einem Bild von Ariel der Meerjungfrau. Das Fenster war gekippt. Ein leichter Wind blähte die hellblaue Organzagardine.
    In Augenblicken wie diesen sucht man selbst dort. In Augenblicken wie diesen, schiebt man durchsichtige Vorhänge beiseite, in der Hoffnung, das Kind spiele einem einen Streich und habe sich dahinter versteckt. Mit der gleichen Hoffnung öffnet man Schränke und schaut unterm Bett nach.
    Miriam hätte ein solches Versteckspiel nie dermaßen auf die Spitze getrieben. Ich wusste das! Aber in solchen Augenblicken hofft man, sein Kind wäre fähig, ein derart böses Spiel zu spielen.
    Er weiß noch, dass die Beamten ins Zimmer kamen. Er hatte am Fenster gestanden und das Licht am Horizont blassrot auf die Felder tropfen sehen.
    Da habe ich es zum ersten Mal gedacht und seither immer wieder: Da draußen bist du. Wie ein Mantra sollte ich es in den nächsten drei Jahren täglich

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