Morgenrot
eine Liebkosung im Nacken wahrzunehmen. In die abgestandene Luft der Höhle schlich sich ein Hauch von Schnee. Fast unmerklich. Und doch rief es Leas Sehnen wach.
Langsam richtete sie sich auf und schaute hinauf zum Vorsprung. Maiberg hatte es sich im Regiestuhl des Kollektors bequem gemacht und schlief. Ohne ein Geräusch zu verursachen, kam sie auf die Füße und dehnte sich ausgiebig. Dann wartete sie noch einen Augenblick, bis sich ihre Augen an das dürftige Licht gewöhnt hatten, das den Grund der Höhle erreichte. Als sie vor den Felsen stand, hinter denen ein anderes Reich lag, zögerte sie kurz.
Dann trat sie in die Dunkelheit ein.
Augenblicklich glaubte sie unzählige Münder zu spüren, die ihre Haut mit Begrüßungsküssen bedeckten. Aber als sie ihre Hand ausstreckte, berührte sie lediglich kalten Stein. Die Luft verwob sich, wurde dichter. Ein metallisch schwerer Duft stieg auf, ein Aphrodisiakum, für das es in Leas Welt keinen Namen gab. Es umfing sie, wiegte sie in seidenen Bahnen, brachte ihr Blut zum Singen.
Verwirrt stöhnte sie auf und versuchte, im flackernden Schwarz eine Silhouette auszumachen. Ihr Gehör registrierte empfindlich jedes Geräusch, aber es wollte ihm nicht gelingen, neben dem Rauschen des Wassers und dem Arbeiten des Steins etwas herauszufiltern, auf das sie hätte zuhalten können. Und doch verrieten alle Nervenbahnen unter ihrer Haut, dass Adam in der Nähe war, sie beobachtete, sich näherte. Plötzlich legten sich von hinten zwei Hände um ihre Schultern, und nur im letzten Moment gelang es ihr, einen Schrei zu unterdrücken.
Eine Flut von Verlangen und Angst riss sie mit sich fort, während Adam mit den Lippen Haarsträhnen von ihrem Nacken strich, bevor er spielerisch leicht zubiss. Dann verwandelte sich die Liebkosung in einen leichten Kuss, aus dem sogleich wieder ein Biss wurde. Nicht annähernd kräftig genug, um sie zu verletzen. Dennoch spürte sie die Gefahr, die sich hinter dem verspielten Gebaren versteckte. Trotzdem blieb sie stehen und schwieg. Denn bei jeder einzelnen Berührung flammte ein überreiztes Brennen auf, zerfraß die letzten Barrikaden und vernichtete jeden Widerstand mit einem nicht löschbaren Feuer.
»Du wirst nicht mehr fortlaufen?« Obwohl Adam es mit seiner ruhigen Stimme wie eine Frage formulierte, war es doch eine Feststellung.
Lea fand nicht einmal die Kraft zu nicken. Ihr Körper zitterte, entzog sich ihrer Kontrolle. Eine Glutspur wanderte vom Nacken hinab über den Rücken und setzte ihre Lungenflügel in Brand. Sie gab sich hin und erwartete zugleich den scharfen Schmerz, wenn Adam die Haut an ihrem Hals zerreißen würde, um an die Opfergabe für den Dämon zu gelangen. Innerlich trat sie einen Schritt zurück und betrachtete sich selbst als Gefäß, das gebrochen werden musste.
Adams Mund liebkoste ihre Schlagader. Hingebungsvolle Küsse, gefolgt von der Berührung seiner Zähne.
Sie würde stillhalten, ihn gewähren lassen. Endlich würde das verlockende Tasten, das ihr ständig einen Vorgeschmack auf Erlösung versprach, aufhören. Mit einem gezielten Biss würde Adam alldem ein Ende bereiten. Was konnte es Erfüllenderes geben, als sich in einen Strom zu verwandeln? Samtig fließende Essenz des Lebens. Zuerst ein mächtiges Rauschen, später nur noch eine Erinnerung in der Unendlichkeit des Dämons. Als Belohnung lockte duftendes Dunkel und das Versprechen, auf ewig Teil von etwas Unsterblichem zu sein.
Lea nahm kaum wahr, wie ihre Beine nachzugeben drohten und ihre Atmung immer schwächer wurde. Alles in ihr sehnte sich danach, von Adam in Besitz genommen zu werden, sich mit ihm zu vereinigen. Auch wenn es nur für einige wenige Atemzüge sein mochten, bis der letzte Tropfen ihrer Opfergabe versiegt war.
Doch während sie auf den erlösenden Biss wartete, reifte zugleich die Erkenntnis, dass sie den Kuss des Dämons trotz all seiner Herrlichkeit nicht wollte. Er mochte lodern wie eine entstehende Sonne und zugleich ganze Welten vernichten, aber in Wahrheit sehnte sie sich nach etwas anderem. Sie sehnte sich nach dem, was sich hinter all dieser überbordenden Pracht und den Verführungskünsten verbarg.
Wie ein letztes Aufbegehren wanderte Leas Hand nach hinten und unter den Stoff, der Adams Hüfte bedeckte. Als sie die fiebrige Haut berührte, stieg ein Triumphgefühl in ihr auf: Sie würde standhalten und sich nicht dem Dämon opfern, weil Adam sie als Gefährtin an seiner Seite wollte. Dieses Wissen breitete sich
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