Morgenrot
daraus würde keine Freundschaft mehr werden.
Megan hatte die Arme hinter dem Rücken verschränkt und blickte in den Garten, der von der anbrechenden Dämmerung in ein mildes Licht getaucht wurde. Lea nutzte die Gelegenheit und inspizierte Megans Frisur: Das hochgesteckte Haar konnte einen schier in die Verzweiflung treiben, wie es sich so geschmeidig um den Kopf legte. Nicht ein widerspenstiges Härchen stand ab. Lea hatte sich einige kurzerhand nach ihrem Geheimnis zu fragen. Aber dann stockte sie, das Kompliment kam nicht über ihre Lippen. Kein Geplauder mit Adams bösartigem Schoßhund, der wahrscheinlich nur beißen würde, ermahnte sie sich und richtete den Blick wieder auf den lästigen Faden an ihrem Parka.
Unabwendbar kehrten ihre Gedanken zu dem Thema zurück, das sie bei Tag und Nacht beschäftigte: Adam. Während sie versuchte, die wachsende Aufregung zu unterdrücken, umschlossen ihre Finger unwillkürlich den lästigen Faden.Trotz eifrigen Zupfens gab der nicht nach.
Lea seufzte frustriert. Es gelang ihr einfach nicht, still zu sitzen und Megan mit einer lässigen Haltung zu beeindrucken. Schuld daran war vor allem dieses vorfreudige Kribbeln, das sich in der letzten halben Stunde wie ein Spannungsnetz zwischen ihren beiden Hüftknochen ausgebreitet hatte. Lea ahnte, dass ein gewaltiger Stromschlag durch dieses Netz jagen würde, sobald Adam die Tür durchquerte. Ihr Körper würde sie wieder einmal hemmungslos verraten, indem er Adam seine übergroße Willigkeit direkt auf die Nase band.
Um sich abzulenken, schaute sich Lea in dem Raum um: Gegenüber dem Sofa, auf dem sie saß, stand ein Rokokosofa, das kaum zwei Personen Platz bot. Dazwischen stand ein Tisch aus Plexiglas, dessen Aufgabe darin bestand, als möglichst dekorativer Sockel für eine Plastik zu dienen. Lea hatte diese Plastik nun schon ausgiebig bewundert, während die Minuten im Stundentakt verstrichen. Dabei herrschte im ganzen Haus die gleiche Stille wie in einer Gruft.
Gerade als Lea mit dem Gedanken spielte, Megan mit einer Bemerkung über ihr selbst erwähltes Schoßhunddasein zu einem kleinen Zwist herauszufordern, drang plötzlich ein Schrei in ihre Ohren. Er war kaum vernehmbar, so, als käme er aus großer Entfernung oder sickerte durch besonders dicke Wände. Unsicher warf sie einen Blick auf Megan, doch die zuckte nicht einmal mit den Schultern. Lea dachte schon, dass sie sich getäuscht hatte, da ertönte ein weiterer Schrei. Nun war sie sich sicher, konnte aber nicht sagen, ob jemand seine Angst oder seine Lust hinausbrüllte.
Herrgott, darüber musste sie nun wirklich nicht mutmaßen! Schließlich wusste sie doch ganz genau, was für ein unappetitliches Hobby sich der Besitzer dieses Hauses leistete. Es war ganz eindeutig an der Zeit zu gehen, Adam hin oder her. Sie würde nicht - brav wie ein Lamm daraufwarten, dass Pi sich auf die Suche nach Nachschub machte oder Megan plötzlich die Bemerkung fallen ließ, Adam sei nun mit dem Essen fertig und würde gleich erscheinen.
Hastig sprang Lea auf die Beine, und im selbenAugenblick öffnete sich eine der Flügeltüren, und Pi trat ein. Sein Blick traf geradewegs Leas vor Angst geweitete Augen. Pis zart geschwungene Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, das vorgab, einem Engel zu gehören. Doch Lea nahm die dämonische Fratze wahr, die sich unter dieser Maske verbarg. Trotzdem - oder gerade deshalb - wagte sie es nicht, die unausgesprochene Aufforderung auszuschlagen, und ließ sich wieder auf das Sofa sinken.
Während Pi die Tür hinter sich schloss, gab Megan endlich ihre versteinerte Haltung auf. Allerdings nur, um raschen Schrittes zu der Seitentür hinauszueilen, durch die sie mit Lea den Raum betreten hatte. Megan ist gewiss gegangen, um Adam zu holen, versuchte Lea sich zu beruhigen. Sie ist nicht einfach verschwunden, damit es keine Zeugen für das anstehende Blutbad gibt. Leas Kehle schnürte sich zu. Das würde ja auch gar nicht zu Megan passen, ihre verhasste Konkurrentin einfach so im Stich zu lassen.
Mit Schritten, die an das Tippeln einer Geisha erinnerten, näherte sich Pi ihr und nahm dann Platz auf dem Rokokosofa. Ehe diese zerbrechliche Person die nackten Füße unter sich ziehen konnte, erhaschte Lea einen Blick auf die schwarz lackierten Fußnägel. Mit untergeschlagenen Beinen, kerzengeradem Rücken, die Hände brav in den Schoß gelegt und auf dem Gesicht einen blankenAusdruck, bot sich Pi regelrecht zur Musterung an.
Lea machte von dem Angebot
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