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Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

Titel: Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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unterdrücken. Das Kerlchen hat wirklich Mumm.»
    Er machte ein besorgtes Gesicht. «Sollen wir es dabei belassen?»
    «Ich fürchte, wir können nichts anderes tun. In seinem augenblicklichen Zustand bringt er kein Wort heraus. Ich weiß nur, daß er fort gewesen ist. Und das ist es, was mich beunruhigt.»
    «Woran denkst du?»
    «An Willie», sagte sie.
     

7
     
    In ganz England weihnachtete es weiter. Die Nacht senkte sich herab, Vorhänge wurden zugezogen, Kaminfeuer aufgeschichtet und Kuchen angeschnitten. Eine ungesellige Nation versuchte auf ihre verbissene englische Weise gesellig zu sein. Verwandte, die sich dreihundertvierundsechzig Tage im Jahr nicht ausstehen konnten, zogen gemeinsam an Knallbonbons, trugen närrische Hüte und waren für die Erlebnisse ihrer Mitmenschen ganz Ohr.
    Im Zypressenhof wartete jeder mit Schrecken auf den fürchterlichen Moment, in dem Tante Bea Gesellschaftsspiele vorschlagen würde. Becky und Peter hielten Händchen. Bobs und Großtante Marigold unterhielten sich über Rugby, ein Thema, über das die alte Dame erstaunlich gut Bescheid wußte. Onkel Ben und Opa dösten vor sich hin und Paps allem Anschein nach auch, obwohl er immer wieder erklärte, daß sein Verstand nie wacher sei als im Halbschlaf. Mr. Grebbie beobachtete Opa wie ein Briefträger, der einem anscheinend schlafenden Wachhund mißtraut, und lächelte Rose ab und zu schüchtern und dankbar an. Rose dachte, wie gut Bobs doch aussehe und daran, daß der Tag verstrich und sie ihn noch keinen einzigen Augenblick für sich allein gehabt hatten. Warum war er nur gekommen? Aus Höflichkeit? Nein, dachte sie traurig. Bobs war nicht der Mensch, der der Höflichkeit auch nur einen einzigen Tag opfern würde. Um Becky wiederzusehen? Um von den Brosamen zu essen, die von Peters Tisch fielen? Das konnte sie sich eigentlich auch nicht vorstellen. Ganz bestimmt aber nicht, um mit Großtante Marigold über Rugby zu sprechen. Nein, er war doch ihretwegen gekommen. Er hatte eben nur eine seltsame Art, seine Zuneigung zu zeigen.
    Aber sie war nicht restlos davon überzeugt.
    Gaylord lümmelte sich auf den Knien seiner Mutter, während sie ihm «Winnie the Pooh» auf lateinisch vorlas. Das englische Original konnte er nicht leiden, empfand aber die gewichtigen lateinischen Silben eigenartig wohltuend. «Vita nubeculae est fons superbiae», las Mummi.
    Opa regte sich. «Klingt ja wie Latein», knurrte er.
    «Ist es auch», sagte Mummi.
    Opa rappelte sich hoch und visierte Mummi mit einem unheilvollen Blick. «Das versteht er doch gar nicht, oder?» bellte er.
    «Kein Wort», sagte Mummi.
    «Warum in aller Welt liest du’s ihm dann vor?»
    «Ihm gefällt das Englische nicht», erklärte Mummi.
    Opa dachte darüber nach. Da mußte es doch eine andere Lösung geben. Es gab auch eine, und er hatte sie gefunden. «Könntest du nicht», sagte er, «ein Buch aussuchen, das ihm wirklich gefällt? Das könntest du ihm dann auf englisch vorlesen», erklärte er.
    «Als ob ich das nicht schon versucht hätte», sagte Mummi.
    Opa schnaubte nur. Aber damit hatte er etwas Schönes angerichtet, denn nun ließ sich Tante Bea hören: «Ah, John, endlich bist du aufgewacht. Also dann mal los. Wer ist für Schreibspiele?»
    Paps verkroch sich noch tiefer in seinem Sessel. Stan Grebbie sah ganz verstört aus. Onkel Ben richtete sich energisch auf. «Sehr richtig. Zu Weihnachten gehören auch Schreibspiele.»
    «Wieso?» wollte Paps wissen, der plötzlich merkte, was ihm bevorstand.
    Tante Bea verteilte bereits Bleistifte und Papier aus ihrer Handtasche und ließ ein Nein nicht gelten. «Jocelyn, auch einen Bleistift?»
    «Nein, danke, ich nehme meinen Füller», sagte er verdrießlich und zog sein kostspieliges Schreibutensil aus der Tasche. Wenn er schon leiden mußte, wollte er es so elegant wie möglich tun. «Kann ich bitte eine Schreibunterlage haben?» fragte er und hielt sein Papier hilflos in die Gegend.
    Tante Bea nahm Mummi «Winnie the Pooh» ab und reichte es Paps. «Es wundert mich, daß du nicht darauf bestehst, auf deiner Schreibmaschine zu schreiben», sagte sie. Sie fand Paps prätentiös.
    «Danke», sagte Paps im Tonfall eines Großwesirs, dem man eben die seidene Schnur überreicht hat.
    Das gräßliche Ritual begann. Opa traf die Bardot im Supermarkt, Bobs traf die Äbtissin bei der Windmühle und Mr. Grebbie, zu seiner grenzenlosen Verwirrung, die Pompadour beim Ostermarsch der Atomwaffengegner. Schließlich hatte sogar Tante

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