Morland 02 - Die Blume des Bösen
einmal im Entferntesten vorstellen können?«
»Aber es wird kein Vakuum entstehen. Wir sind da und füllen es sofort aus. Wir ersetzen die alte Ordnung durch eine neue, viel effizientere«, sagte Begarell.
»Warum?«, fragte Mersbeck.
»Entschuldigung?«, fragte Begarell verwirrt.
»Warum das alles?«, insistierte Mersbeck. »Warum wollen Sie wahllos Menschen für diese neue Ordnung töten? Männer. Frauen. Kinder.«
»Weil wir den besseren Menschen erschaffen wollen«, sagte Begarell ungerührt.
»Die meisten Menschen haben sich damit begnügt, eine bessere Welt zu erschaffen. Ich kann mich daran erinnern, dass Sie auch einmal zu ihnen gehört haben.«
»Und? Habe ich damit Erfolg gehabt?«
»Schauen Sie sich Morland an. Wie sah es hier aus, als die Morstal AG noch das Land beherrschte? Der Konzern kontrolliertedamals das ganze Land: Wirtschaft, Politik, den ganzen Staatsapparat. Und Sie haben ihn entmachtet und schließlich zerschlagen. Ich finde, Sie haben einiges erreicht, auf das Sie stolz sein können.«
Begarell lächelte nicht mehr und Mersbeck fragte sich nicht zum ersten Mal, was sich wohl hinter diesem meist ausdruckslosen Gesichtsausdruck des Präsidenten verbarg.
»Wissen Sie, was ich glaube?«, fuhr er fort. »Ihnen geht es um etwas ganz anderes. Etwas viel Persönlicheres.«
»Wie bitte?«, fragte Begarell schmallippig. Mit einem Mal war die Atmosphäre in dem Konferenzsaal aufgeladen wie kurz vor einem Gewitter. Niemand sagte ein Wort. Jeder schaute Mersbeck an, als erwarteten sie etwas zu erfahren, von dem sie als Kollektiv noch nichts wussten.
Mit einem lauten Schlag flog die Tür auf.
»Entschuldigung«, ächzte Egmont, der nun mit mehreren Karten beladen in den Konferenzraum stolperte. »Es hat einen Moment gedauert, bis man mir den Schlüssel zum Lagerraum geben konnte.« Er eilte noch einmal hinaus, um einen Ständer hereinzutragen und aufzustellen. Dann klemmte er eine große Übersichtskarte ein und fuhr die Halterung nach oben aus.
Begarell musterte Mersbeck einen Moment scharf, als wollte er ihm quer durch den Raum signalisieren, dass er eine Grenze erreicht hatte, die er besser nicht überschritt. Dann trat er vor die Karte.
»Unsere Welt. Ein überschaubarer Ort. Fünf Kontinente, ein Dutzend Länder. Haben Sie sich schon einmal überlegt, warum es nur so wenige sind? Weil kleine Staaten wegen derangespannten Rohstofflage nicht überleben können. Die Länder, die an das Ladinische Meer grenzen, sind verkarstet, da in den letzten Jahrzehnten ohne Rücksicht auf Verluste alle Wälder gerodet wurden. Über kurz oder lang werden sie sich aus der Not heraus zu einem Staatenbund zusammenschließen, der spätestens in zehn Jahren für uns zu einer ernst zu nehmenden Konkurrenz erwachsen wird. Morland ist eine Insel der Glückseligen. Im Gegensatz zur südlichen Hemisphäre haben wir ein gemäßigtes Klima mit weitläufigen Wäldern und nennenswerten Rohstoffvorkommen. Uns geht es gut. Noch. Seit Menschengedenken hat es keinen Krieg mehr gegeben. Ich bin mir aber sicher, dass sich das bald ändern wird. Andere Länder befinden sich in einer schwierigeren Situation als wir. Thanland steht schon jetzt mit dem Rücken zur Wand. Doktor Mersbeck?« Begarell war nun wieder so freundlich wie zuvor, als er sich an den Leiter der Forschungsstation 9 richtete. »Ich kann mir vorstellen, dass Ihre kleine Präsentation Teil einer größeren Inszenierung ist. Oder täusche ich mich?«
»Nein, Sie täuschen sich in der Tat nicht«, antwortete Mersbeck.
»Also.« Begarell trat beiseite. »Wir sind schon sehr gespannt, was Sie uns noch zu sagen haben.«
Er kann meine Gedanken lesen, schoss es Mersbeck wie ein Blitz durch den Kopf, und als wäre es eine Antwort auf diese Erkenntnis, verwandelte sich der leere Ausdruck im Gesicht des Präsidenten in ein breites Lächeln. Mersbeck spürte, wie sein Herz den Pulsschlag erhöhte. Seine Souveränität schwand, aber er durfte sich diese Schwäche nichtanmerken lassen. Nicht vor den anderen Mitgliedern des Kollektivs. Er räusperte sich.
»Ihr Ausführungen treffen den Sachverhalt ziemlich genau. Die uns vorliegenden Geheimdienstberichte kommen zu denselben Schlüssen. Und Sie haben Recht. Wenn Morland überleben soll, muss es zu einem Präventivschlag ausholen, der nicht als kriegerischer Akt gedeutet werden darf. Die stillschweigende Übernahme fremder Regierungen sollte dabei ein Kernelement dieser Strategie sein.« Mersbeck sprach nun im
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