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Morland 02 - Die Blume des Bösen

Titel: Morland 02 - Die Blume des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schwindt
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um und eilte mit schweren Schritten davon. Der Soldat folgte ihm, ohne zu zögern. Stumm gab er den anderen Männern ein Zeichen und sie verließen den Laden. Die Tür fiel zu, nur das kleine Glöckchen, das sonst das Kommen und Gehen der Kundschaft ankündigte, klang noch eine Zeit nach.
    »Was haben sie gesehen?«, fragte Tess mit rauer Stimme.
    »Du musst lernen, dich zu beherrschen«, entgegnete Nora. »Wir sind anders als die anderen. Und wir dürfen es ihnen nicht zeigen. Wenn wir etwas aus den Ereignissen gelernt haben, die vor langer Zeit zum Untergang der alten Welt geführt haben, dann das.« Sie begann aufzuräumen.
    »Was haben sie gesehen?«, wiederholte Tess ihre Frage, diesmal eindringlicher.
    Nora stellte eine gesprungene Tasse zurück ins Regal. »Was hast du gesehen?«
    »Eine Küche, aber nicht Ihre.«
    »Sondern?«
    Tess fiel jetzt ein, was mit dem Raum nicht gestimmt hatte. Er war, gemessen am Grundriss des Hauses, viel zu groß gewesen. Und nicht nur das. »Es war die Küche des Waisenhauses«, sagte sie atemlos.
    »Ach wirklich? Das ist interessant.«
    »Was haben die anderen gesehen?« Tess’ Stimme hatte jetzt eine Eindringlichkeit gewonnen, die sie zittern ließ.
    Nora zuckte mit den Schultern. »Wenn du das wissen möchtest, solltest du am besten hinter ihnen herlaufen und sie fragen.«
    In Tess’ Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander. Sie sagte kein Wort mehr.
    Nora holte tief Luft und ergriff ihre Hand. »Wir sind Gist. Und um zu verstehen, was das bedeutet, musst du mehr von unseresgleichen treffen.«
    »Hakon und York ...«
    »Hakon und York befinden sich in derselben Situation wie du. Sie wissen nicht, wer sie sind. Sie kennen ihre Wurzeln nicht. Die müssen wir aber kennen, sonst wird es ein Unglück geben. Ich habe bemerkt, wie du deine Kräfte einsetzen wolltest.«
    »Gegen Soldaten!«
    »Gegen Menschen ! Wir dürfen nicht den Fehler begehen, diese Männer auf das Bild zu reduzieren, das wir von ihnen haben.«
    »Aber das tun sie doch auch! Für sie sind alle Magischbegabten das Böse schlechthin!«, sagte Tess.
    »Umso schlimmer. Nur weil manche Menschen einen Fehler begehen, entsteht daraus nicht die Rechtfertigung, denselben Fehler auch machen zu dürfen. Wir haben eine Verantwortung. Uns gegenüber. Und der Welt gegenüber, in der wir leben. Und außerdem sind nicht alle Menschen gleich, das hast du selbst gelernt. Morten Henriksson, Paul Eliasson und die anderen Mitglieder der Armee der Morgenröte haben, genau wie wir alle, ihre Schwächen. Aber sie stehen für eine bessere Welt ein. Sie betonen nicht das Trennende, sondern das Verbindende. Ihnen müssen wir im Kampf gegen die Kräfte helfen, die alles zerstören wollen, was uns wichtig ist. Diese Menschen sind unsere Hoffnung.Wenn sie in diesem Kampf unterliegen, werden wir ihn alle verlieren.«
    Tess setzte sich nachdenklich auf einen Stuhl. In ihrem Kopf summte es wie in einem Bienenstock. Bisher hatte der Lauf der Ereignisse sie so sehr beschäftigt, dass sie sich die entscheidende Frage noch nicht gestellt hatte. Und die lautete: Wer bin ich? Bis zu ihrer Flucht aus dem Waisenhaus glaubte sie, ein normales Mädchen zu sein, das zwar seinen Vater und seine Mutter nicht kannte, dafür aber Mitglied der großen Familie derer war, die keine Eltern und keine Vergangenheit hatten. Sie hatte nicht zurückschauen müssen, weil es nichts zum Zurückschauen gab. Das hatte sich mit der Entwicklung ihrer Begabung schlagartig geändert.
    »Was kann ich tun?«, fragte sie schließlich.
    »Wir brauchen Verbündete«, sagte Nora. »Du musst Kontakt zur Armee der Morgenröte herstellen.«
     
    ***
     
    Obwohl Lennart nach dem Ende seiner Schicht erschöpft war wie noch nie in seinem Leben, hatte er in dieser Nacht nicht schlafen können. Die schwere körperliche Arbeit in der Wäscherei war ihm wie eine Knochenmühle vorgekommen. Die Krämpfe in Händen und Beinen, die ihn heimsuchten, sobald er sich hingelegt hatte, waren in den dunklen Stunden vor Sonnenaufgang eine quälende Plage gewesen. Doch er war nicht der Einzige, der Schmerzen litt. Die ganze Nacht hatte ein Mann in einer anderen Zelle seine Qualen hinausgeschrien. Und je mehr man ihm zurief, er solle damit aufhörenund sich endlich umbringen, umso lauter heulte der Kerl. Der Wächter, der auf der Galerie seine Runden drehte, war nicht eingeschritten. Er kannte wohl derlei Ausfälle und störte sich im Gegensatz zu den Gefangenen nicht daran, dass da jemand langsam in den

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