Morpheus #2
Spitzname, mit dem der Partner online war. Ich komm mir vor wie bei den Sopranos
– jeder hat einen verdammten Spitznamen. Morpheus, Cupido, der Frauenversteher, Sams Sohn, Big Joey, Little Joey, Louie Sackgesicht.» Er schüttelte den Kopf. «Bist du bereit?»
«Schieß los.»
«Cop-Killer. Ist das nicht originell?»
«Cop-Killer? Was soll das denn für ein Name sein?»
«Banding sagt, Chambers’ Partner hat sich den Namen selbst gegeben, nicht weil er Cops umbringt, sondern weil er ein Cop ist, der killt. Kapiert?»
EINUNDSIEBZIG
Bis jetzt entwickelte sich alles prächtig. Die Spannung steigerte sich, die Darsteller warteten auf das Ende der Geschichte genauso neugierig wie das Publikum. Jetzt war es Zeit für das große Finale, es galt, die losen Fäden noch einmal alle in die Hand zu nehmen und ordentlich zu verknüpfen. Das Happy End für alle Beteiligten. Damit die verängs-tigten Bürger nachts wieder schlafen konnten.
Oder auch nicht. Er lehnte an seinem Wagen und wog nachdenklich einen roten Apfel in der Hand.
Dann polierte er ihn mit dem Ärmel, bis er in der warmen Sonne glänzte.
Er könnte aber auch alles offen lassen. Ein Cliff-hanger nach dem Motto: «Wer erschoss J. R.?»
Oder ein böses Ende wie in Twilight Zone, das auch im nächsten Teil nicht aufgelöst wird. Fragen, die für immer unbeantwortet blieben. Er könnte sie am Leben lassen.
Die Menschen hatten ein kurzes Gedächtnis. In ein paar Monaten wäre Morpheus nicht mal mehr Thema für einen Plausch im Fahrstuhl. Statt: «Un-fassbar, in Miami wurde wieder ein Polizist ermordet!», würde man sich am Kopf kratzen und fragen:
«Gab es da nicht mal ein paar Cops, die über den Jordan gegangen sind?» Die Task-Force würde auseinander gehen und der Fall bei den Akten landen. Vielleicht stieß irgendwann ein neuer Detective darauf und nahm die Ermittlungen wieder auf, um die Karriereleiter ein bisschen schneller zu erklim-men. Dann ginge alles von vorn los, bis die Akte wieder zwanzig Jahre lang im Archiv verstaubte.
Oder er nahm alle Fäden zusammen, nur ihren nicht. Vielleicht war es genau das rätselhafte Finale, das ihm vorschwebte. Sie sollte leben, den Rest ihres Lebens über ihrer Schuld und ihrem Selbst-hass brüten, innerlich von ihrer Verantwortung für den Tod von fünf Menschen aufgefressen werden.
Mit dem sechsten in der Warteschleife – Bantling.
Die Schuld, da war er sicher, wäre schlimmer für sie als der Tod.
Ihr Tod war nicht unbedingt notwendig, denn er wusste, dass sie nie reden würde. Wenn es je einen Zeitpunkt gegeben hatte, reinen Tisch zu machen, dann war er mit der Abweisung von Bantlings letztem Berufungsantrag abgelaufen. Sie hatte keine Skrupel, wieder und immer wieder vor Gericht zu treten und die Show noch einmal abzuziehen, den falschen Mann noch einmal aufs Schafott zu schicken. Nein, deswegen musste sie nicht sterben.
Aber sie hatte es dennoch verdient. Der Tag der Abrechnung war gekommen.
Mit dem Messer, mit dem er sie töten würde, schnitt er ein Stück vom Apfel ab und schob es sich in den Mund. Für ein richtiges Mittagessen hatte er keine Zeit. Er musste den Tag nutzen, um wichtige Spuren zu verfolgen.
Er beobachtete die Kinder auf dem Spielplatz, deren degenerierte Mütter in ihre Handys schnatterten, nicht ahnend, was hinter dem freundlichen Lächeln des Fremden am Sandkasten oder an der Schaukel lauerte.
Sie wusste es. Sie wusste, dass da draußen der Tod wartete, auf sie lauerte. Wie in einem makab-
ren Videospiel hatte sie zweimal geschafft, ihm zu entwischen. Sie hatte erst einen Feind erledigt, dann einen zweiten, doch es kamen immer neue, und ihre Leben waren langsam aufgebraucht.
Am besten wäre es wohl, Schluss zu machen, den ganzen Krempel hinzuschmeißen, dachte er und zog das Kartenhandy hervor. Er musste nur eine Nummer wählen, um alles in Gang zu setzen.
Mit einer hübschen roten Schleife würde er der Polizei die Fakten für den Schlussbericht kredenzen.
Er hörte das Freizeichen, als er plötzlich eine piepsige Stimme vernahm.
«Bist du Polizist?», fragte der braunhaarige Junge, der sich an ihn herangeschlichen hatte, und betrachtete nachdenklich den Zivilwagen. Daneben stand ein Mädchen von ungefähr fünf Jahren und rieb sich über die sonnenverbrannte Nase. Wahrscheinlich seine kleine Schwester.
Wie Süßigkeiten, die man ihm hinhielt. Er musste nur zugreifen. «Ja», sagte er und klappte das Telefon zusammen. Von Mommy war natürlich nichts zu
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