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Moskito

Moskito

Titel: Moskito Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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sehr durchdringend.
    Cavanaugh ergriff trotzdem das Wort. »Jawohl, Herr Doktor. Ich weiß, daß Verhaltensprofile …«
    »Kriminalpolizeiliche Täteranalysen«, korrigierte Doktor Gissing.
    »Ganz recht. Ich weiß, daß sie aus Profilen anderer Täter zusammengesetzt werden, Täter, die die gleiche Art von Verbrechen auf die gleiche Weise verübt haben. Aber niemand hat je zuvor ein solches Verbrechen auf irgendeine Weise verübt. Meine Frage lautet: Wie hat Ihr Team diese Analyse zusammengestellt?«
    Gissing lächelte. Er genoß es sichtlich, Cavanaugh zurechtzustutzen. »Ich fürchte, da sind Sie im Irrtum. In ihren individuellen Handlungen mögen sich Terroristen wohl voneinander unterscheiden, und Mörder unterscheiden sich voneinander durch ihr Verhaltensmuster. Doch wenn wir sie kombinieren, erhalten wir ein Profil von größter Genauigkeit. Und wir besitzen beträchtliches Informationsmaterial über individuelle Killer. In siebenundsiebzig Prozent jener Fälle, die später gelöst werden, sagen die Ermittler, daß das Profil bei der Konzentration der Nachforschungen in bestimmter Richtung von größtem Nutzen war.«
    »Ja«, sagte Cavanaugh mit heimlicher Genugtuung, daß Gissing selbst es nun ›Profil‹ genannt hatte, »das ist mir bekannt. Aber das heißt doch auch, daß Ihre ganze Analyse auf der Annahme beruht, daß es sich um ein Individuum handelt, das allein agiert. Ich meine damit, daß Profile doch nur die zugrundeliegenden Annahmen über ein Verbrechen reflektieren können. Falls es sich hier jedoch um eine Gruppe handelt …«
    »Ich denke, das haben wir bereits ausführlich besprochen«, sagte Dunbar steif. »Noch Fragen?«
    Die Konferenz ging weiter. Tief in Gedanken versunken saß Cavanaugh da; nach einer Weile merkte er, daß Maloney und Meath, die beiden Agenten aus der Abteilung Fünf, ihn nach wie vor anstarrten. Keiner von beiden lächelte, als Cavanaugh hinsah. Halte du dich an die Suche nach dem Einzeltäter, besagten ihre Blicke, jetzt übernehmen wir die Möglichkeit einer Terrorgruppe!
    Revierkämpfe. Die auszutragen Felders seinen Agenten nie gestattete. Cavanaugh vermißte ihn. Er vermißte die hitzigen, offenen Diskussionen um die Art von Vorgangsweisen. Er vermißte es auch, die Schlüsselstellung in einem Fall innezuhaben, statt wie hier nur einer von vielen Laufburschen zu sein. Er griff nach seinem Notizblock.
    Während er jenen Leuten zuhörte, die demnächst die Schlüsselstellungen innehaben würden, zeichnete er die beiden Agenten von Abteilung Fünf. Er gab Maloney, der ein langes, schmales Gesicht hatte, eine Wurst als Kopf. Und Meath, der sich bereits in den Fünfzigern befand, erhielt als Kopf einen antiken Pokal, aus dem der Quell der Weisheit sprudelte. Die Zeichnung nannte er ›SPEIS UND TRANK VON RECHT UND GESETZ‹. Er stellte keine Fragen mehr.
     
    Zu Mittag, während die Zusteller aus dem Delikatessenladen in der Nachbarschaft Sandwiches und andere Köstlichkeiten verteilten, die offenbar vor Cavanaughs verspätetem Eintreffen bestellt worden waren, rief er Judy an. Dunbar hatte zwar etwas für ihn bestellt, aber er wußte nicht, was, und es gab im Konferenzraum ohnehin nicht genug Platz zum Essen. Da es draußen regnete, ergossen sich die Scharen von Agenten in die angrenzenden Büros und Korridore, wo sie unter Hinterlassung von Krümelspuren ihre Schinken-Vollkornbrote mampften. Cavanaugh suchte sich einen öffentlichen Fernsprecher auf einer anderen Etage.
    Judy hob beim ersten Klingeln ab. »Robert?«
    »Ja, ich bin’s.« Sie hatte neben dem Telefon gesessen; er steckte tief in der Scheiße. »Hör zu, Judy, es tut mir leid, daß ich dich nicht früher anrufen konnte, aber ich war gestern in Atlanta und bin erst zurückgekommen, als …«
    »Lüg mich nicht an, Robert. Bitte.«
    Zorn flackerte in ihm auf. »Ich lüge dich nicht an! Ich war bis spät abends in Atlanta!«
    »Oh, das glaube ich dir schon«, sagte Judy. »Das ist nicht die Lüge. Die Lüge ist, daß dein Aufenthalt in Atlanta als Grund dafür herhalten soll, daß du mich nicht angerufen hast. Willst du mir erklären, daß es in Atlanta keine Telefone gibt?«
    Vor seinem inneren Auge erschienen die Reihen von Apparaten am Flughafen. Telefone bei den Ticketschaltern, Telefone bei den Flugsteigen, Telefone beim Zeitungskiosk, Telefone in den Gängen. Aus dem Zorn sprießte das hilflose Gefühl, in die Defensive gedrängt zu sein. »O doch, es gibt Telefone in Atlanta. Vermutlich hätte ich

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