Mottentanz
Striemen an meinen Handgelenken, wo das Klebeband weggerissen wurde. Oder die Tatsache, dass Sean meine Finger mit seinen eigenen zerquetscht, als wollte er verhindern, dass ich abhaue, als würde er vorhaben, mich niemals wieder gehen zu lassen.
Ein Mädchen in einem winzigen karierten Rock und Netzstrümpfen läuft neben uns und lächelt Sean an. Als sie ein paar Meter Abstand gewonnen hat, bleibt sie stehen und blickt zurück. Ist das nicht…? Nein, nur irgendein Mädchen, das glaubt, er sei scharf. Sie sieht, was die meisten Menschen sehen, wenn sie ihn ansehen, nur ein siebzehnjähriges Kind, mit halblangen Skateboarder-Haaren und einem herzzereißend schönen Gesicht. Auch ich habe ihn einst so gesehen.
»Wo schaust du hin?«, fragt Sean. Sein Haar fällt über ein Auge und er wischt es ängstlich beiseite.
»Ich bin nur froh, dass wir hier sind, nichts weiter«, sage ich.
Er versucht zu lächeln, aber er ist zu nervös. Seine Zähne klappern. »Ich auch«, sagt er.
Wir laufen weiter den steilen Hügel hinauf – wir passieren einen schicken Haushaltswarenladen, einen Laden, der handgeblasene Glaswasserpfeifen verkauft, ein Tapas-Restaurant, einen Ort, dessen Fenster mit psychedelischen Postern zugekleistert ist.
Wir gehen weiter. Sean drückt wieder meine Hand. Ich kann sein Herz durch seine Finger schlagen fühlen. Vielleicht ist es auch mein eigenes.
Alles, woran wir vorbeigehen, scheint irgendwie bedeutungsvoll zu sein. Ein Mann in zu gelben Hosen läuft vorbei, im Kampf mit Einkaufstüten mit zu viel Obst darin. Ein Mädchen in einem weinroten Kapuzenpulli sucht geflissentlich etwas in ihrer Tasche. Ein Mann lässt eine Flasche Wasser fallen und das Wasser spritzt auf seinen Schuh. Er blickt auf, nur für einen kurzen Moment treffen sich unsere Blicke. Er schaut weg. Zwei Männer in Anzügen laufen Arm in Arm.
»Hey, Kumpel, kannst du mir eine Zigarette geben?« Wir wenden uns nach rechts und sehen nach unten. Ein Mädchen und ein Kerl sitzen im Schneidersitz auf dem Gehweg hinter einem mit ein paar Münzen gefüllten Pappkarton, auf dem mit Filzstift Warum lügen? Wir wollen Bier! geschrieben steht. Das Mädchen hat kurze blond gefärbte Haare und einen Ochsenring aus Stahl durch ihre Nase. »Oder ein bisschen Kleingeld?«
»Tut mir leid«, sage ich. Ich schaue sie noch einmal an… ist sie das? Nein. Sie sieht schon gar nicht mehr in unsere Richtung. Sean und ich laufen weiter.
Endlich erreichen wir den Gipfel des Hügels. Die Straße endet am Eingang zum Golden Gate Park. Vorne gibt es eine Grünfläche, dahinter schlängelt sich ein gepflasterter Pfad nach hinten. Ein junges Paar ist an eine Ziegelwand gelehnt und küsst sich. Drei Kerle spielen Hacky Sack. Ein paar Leute sitzen im Kreis, trinken aus Papiertüten und lauschen einem Mädchen, das Gitarre spielt. Sean muss plötzlich keuchen, er greift nach meinem Oberarm, drückt ihn zusammen.
»Ellie«, flüstert er. »Ellie.« Ich spüre, dass seine Hand zittert. Er bewegt sich auf eine kleine Gruppe zu, nur ein paar wenige Meter entfernt, ein Mädchen mit langen, dunklen Haaren, ein großer Kerl mit roten Haaren, ein kleinerer Kerl mit blonden Haaren und ein Mädchen mit einem blonden Koboldschnitt. Sie schauen sich alle um, als würden sie auf jemanden warten. Das Mädchen mit den langen dunklen Haaren raucht eine Zigarette. Der große Kerl starrt auf seine Uhr.
Und sie alle tragen identische T-Shirts, weiße V-Ausschnitte mit einer Grafik in der Mitte. Die Bögen einer Kinnpartie und einer Augenbraue, die Sichel eines schiefen Lächelns.
Es ist ein Gesicht: mein Gesicht.
Sean neigt sich nahe zu mir. »Bingo«, flüstert er.
Wir gehen auf sie zu. Das Mädchen mit den langen, dunklen Haaren zieht ein letztes Mal an ihrer Zigarette, wirft die Kippe auf den Boden und tritt sie mit der Hacke ihres Stiefels aus. Sie blickt zu uns auf.
»Hey«, sagt Sean. »Ich steh wirklich auf dein Shirt.«
»Ja?« Das Mädchen neigt den Kopf auf eine Seite. Sie hat riesige Augen, mit goldenem Lidstrich umrandet. Ihre Freund haben sich hinter ihr gruppiert.
Das blonde Mädchen starrt mich an. Unsere Blicke treffen sich. Sie hält meinem Blick eine Sekunde zu lange stand.
»Absolut«, sagt Sean. »Es ist wirklich verdammt cool.«
»Danke.« Das dunkelhaarige Mädchen grinst. »Die sind von so einer Künstlerin hier.«
Der große Kerl tritt nach vorne. Er ist etwa zwei Meter groß, mit gigantischen Armmuskeln, die unter dem dünnen Gewebe seines
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