Mount Maroon
der von Mr. Dick finanzierten Fahrkarte, saß er in einem bequemen Schalensessel hinter einer riesigen Panoramascheibe und sah die Gegend wie in einem Film an sich vorbeischweben. Peter hatte den Greyhound Bus in Annapolis um zwei Uhr bestiegen. Die Fahrt nach Baltimore dauerte nur eine halbe Stunde. Um vier konnte er dann endlich nach York weiterfahren. Die Zeit verging wie im Fluge und je weiter er das Ballungszentrum an der Chesapeake Bay hinter sich gelassen hatte, desto ländlicher wurde es. Während zunächst noch Wälder überwogen, setzten sich spätestens ab der Grenze zu Pennsylvania landwirtschaftlich genutzte Flächen durch. Obwohl er noch nie in York war, kannte er den Namen der Stadt vom Geschichtsstudium. Immerhin war sie 1777 für ein halbes Jahr die Hauptstadt der USA gewesen. Die Mitglieder des Kontinentalkongresses berieten, nachdem sie vor den Briten aus Philadelphia geflohen waren, in York über ihre weitere Strategie im Unabhängigkeitskampf. Aber das war lange her und die heutigen Bewohner hatten natürlich ganz andere Probleme.
Am späten Nachmittag stand er am Rand einer sterilen Siedlung redlich verdienter oder prekär finanzierter Einfamilienhäuser. Die Gleichförmigkeit der Fassaden verstärkte den Eindruck organisierter Ausdruckslosigkeit. Dass sie neu waren, verriet daher weniger ihre Architektur als vielmehr ihre Anordnung, denn die Straßen waren nicht wie früher rechtwinklig zueinander angelegt, sondern reihten die Parzellen bogenförmig aneinander. Peter ging die Chestnut Street hinunter. Nach etwa einem Kilometer blieb er stehen. Nummer 83! Vorsichtshalber schaute er noch einmal auf die Faxnotiz aus Martys Büro. Eine Ellen McGywer wohnte demnach in dem gedrungen wirkenden Haus auf der anderen Straßenseite, vor dessen Garage ein lindgrüner Minivan stand. Die Umgebung bestärkte seinen Zweifel daran, es könne sich bei
dieser
Ellen um
seine
Ellen handeln. Das hier war einfach nicht ihr Stil. Seit Peter sie kannte, bevorzugte sie Altbauwohnungen in lebhaften Stadtquartieren. Er vermutete immer, das läge an der gediegenen Atmosphäre ihres Elternhauses im ruhigen Hinterland von New Hampshire. Ihr Vater war der Anwalt der feinen Leute und ihre Mutter war die Frau ihres Mannes. Ellen war schon früh von Zuhause ausgezogen und begab sich auf eine wahre Odyssee durch die Vereinigten Staaten. Sie lebte und jobbte, wenn auch immer nur für recht kurze Zeit, in Seattle, New Orleans, Chicago und San Francisco. Sie sagte von sich selbst, sie wäre eben ein unruhiger Geist, der alles ausprobieren wolle. Alles, das ist wahrlich viel, dachte Peter, aber das hier, diese spießige Vorstadtgemeinde, gehörte eindeutig nicht zu Ellens Spektrum. Wobei es aber auch eine vernünftige Ellen gab, eine, die den Bogen niemals überspannte und das leichtfertig herschenkte, was ihr lieb und teuer war. Der Abend, an dem sie sich kennengelernt hatten, sollte eigentlich ihr letzter in Madison sein. Sie hatte gegen den Willen ihrer Eltern angefangen Pädagogik zu studieren, während diese in ihr immer die Nachfolgerin für die Kanzlei ihres Vaters sahen. Es gab lange und harte Diskussionen und schließlich hatten die Hudsons ihr Ziel erreicht. Ellen wollte ihr Studium aufgeben und zurück nach Rochester gehen, um zunächst eine Lehre als Anwaltsgehilfin zu machen. Das sollte ihr die notwendige Praxis geben, um ein anschließendes Jura-Studium erfolgreich und schnell absolvieren zu können. Aber als sie zum Abschied mit ihren Freundinnen noch einmal um die Häuser zog, wurde ein gewisser Peter Saunders von einem gewissen Luther Bannister an der Bar stehend so unglücklich angestoßen, dass sein Guinness in hohem Bogen auf Ellen Hudsons Bluse schwappte … Am nächsten Morgen schliefen sie lange, so lange, bis Ellens Zug längst weg war, gingen anschließend spazieren, dann ins Kino. Sie redeten, tranken Kaffee, küssten sich, tranken Wein und schliefen miteinander. Nach drei Tagen rief Ellen ihre Eltern an und teilte ihnen mit, dass sie ihre Pläne geändert habe. Sie würde an der University of Wisconsin bleiben, Lehrerin werden und vermutlich bald heiraten.
Peter überquerte die Straße. Erst jetzt bemerkte er die Vielzahl üppig blühender Dahlien, Ellens Lieblingsblumen. Langsam schritt er auf die Haustür zu und betätigte die Klingel, die einen wertbeständigen, dunklen Ton abgab. Die Tür schwenkte zurück und da stand Ellen. Peters Knie wurden weich, er verspürte den natürlichen Drang, sie zu
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