Mr. Hunderttausend Volt!
sie an dem Acryltresen vorbei, den Gang entlang, den sie vor einigen Monaten schon einmal entlang marschiert war und blieb vor Jonas‘ Bürotür stehen. Carol folgte ihr mit einem Teil der Truppe, während Nigel mit dem Rest der Truppe versuchte, den Rückzug anzutreten.
Sechs Stockwerke tiefer fuhren gerade die ersten Polizeiwagen auf den Vorplatz. Das Heulen ihrer Sirenen war bis hier oben zu hören und beunruhigte einige der Flasher. Doch jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie würden sich den Cops stellen müssen.
„Ich hoffe, Daniel weiß es zu würdigen, was wir hier für ihn auf uns nehmen“, meinte Grant, der neben Nigel die Treppe hinunterstieg.
„Ich auch“, seufzte Nigel. „Ich auch.“
*
„Weißt du, dass wir uns im Grunde strafbar machen?“, flüsterte Carol, der plötzlich Zweifel kamen.
„Ja“, erwiderte Jessie grimmig. „Hausfriedensbruch und Nötigung. Aber das ist mir egal. Jonas ist so vernagelt, da muss man zu illegalen Mitteln greifen.“
Bevor Carol noch etwas sagen konnte, riss sie die Tür auf und betrat den Raum.
Jonas saß an seinem Schreibtisch und las in irgendwelchen Papieren. Bei seinem Anblick begann Jessicas Herz sofort wieder verrückt zu spielen, wofür sie sich am liebsten selbst geohrfeigt hätte. Es ärgerte sie maßlos, dass dieser verbohrte Mann noch immer einen solchen Eindruck auf sie machte.
Er trug wieder die schmale Brille, hinter der seine Augen jetzt verblüfft auf die Delegation blickten, die sein Büro geentert hatte. Dann erkannte er Jessica und sein Gesicht nahm einen abweisenden Ausdruck an.
„Sie wünschen, meine Damen und Herren?“
Jetzt wieder mutig, trat Carol vor. „Es geht um den TV-Auftritt Ihres Sohnes…“
„Das interessiert mich nicht!“, schnitt Jonas ihr das Wort ab. „Und ich weiß auch nicht, was Sie damit zu tun haben. Verlassen Sie also umgehend mein Büro, wenn ich bitten darf. Und Sie…“ Sein Blick heftete sich mit unangenehmer Strenge auf Carol, „mischen sich nicht in Dinge ein, die Sie nichts angehen.“
„Du bist der mieseste Vater, den ich jemals gesehen habe!“ Jessica traf diese Feststellung ohne Scheu oder Aufregung, in einem ganz sachlichen Tonfall, der Jonas für einen Moment verunsicherte. „Nicht nur, dass du deinen Sohn verstößt, nein! Du verleugnest ihn auch noch und überziehst ihn mit juristischem Blödsinn. Das ist asozial, weißt du das? Asozial oder pathologisch oder beides. Ehrlich, bei dir stimmt da oben was nicht.“
Bei den letzten Worten tippte Jessie sich bedeutungsvoll an die Stirn. Einen Moment starrte Jonas sie sprachlos, mit offenem Mund an, dann schnellte er aus seinem Sessel und holte tief Luft. Seine Stimme war laut und kräftig. Es fiel Jessica nicht schwer, jedes seiner Worte zu verstehen, die er ihr ins Gesicht brüllte. Aber sie ließ sich von seinem Zornesausbruch nicht schocken.
„Wie kannst du es wagen, so mit mir zu sprechen?“ Jonas war außer sich. „Was weißt du denn schon, he? Glaubst du, dass es für einen Vater ein Vergnügen ist, zu erfahren, dass sein Sohn lieber als armer Musikus dahinvegetiert als das Werk weiterzuführen, das man für ihn aufgebaut hat?“ Er vollführte eine ausholende Armbewegung, die das gesamte Gelände miteinbezog. „Das hier, das war alles umsonst, weil mein Herr Sohn es nicht will und weil er sich einbildet, mit irgendeinem Kerl…“
Bis hierhin hatte Jessica sich die Schimpfkanonade angehört, still, ohne sich zu rühren oder Jonas ins Wort zu fallen. Jetzt fegte sie mit einer einzigen Bewegung sämtliche Papiere von dem großen Tisch, kletterte auf die Platte, kniete sich vor Jonas hin und drückte ihm einen festen, innigen Kuss auf die Lippen.
Jonas verstummte abrupt. Er hatte noch einiges auf Lager gehabt, tausend Dinge, die er hatte sagen wollen. Aber plötzlich fiel ihm kein einziges Wort mehr ein. Stattdessen fielen aller Zorn, Misstrauen und die dicke Mauer aus Trotz, Wut und Sturheit in sich zusammen. Zurück blieb nichts als totale Kapitulation und Verlangen, das mit jeder Sekunde heftiger in ihm brannte.
Jessies Kuss war eine einzige Provokation. Sie verführte, verspottete und entwaffnete ihn, alles auf einmal und so gründlich, dass er tatsächlich nichts hatte, womit er sich wehren konnte. Alles, was er wollte, war, sie auf der Stelle hier auf diesem Schreibtisch vernaschen und das so oft, bis sie beide vor Erschöpfung an Ort und Stelle einschliefen.
„Ich denke, den Rest erledigt Jessie jetzt
Weitere Kostenlose Bücher