Mr Nanny
Immer wenn Susannah uns zum Dinner einlud, ratterte sie die Gästeliste herunter. »Du musst kommen, Jamie, denn es kommen der Untergeneralsekretär der Vereinten Nationen und ein Redakteur von Newsweek . Und das Catering übernimmt Daniel Boulud.« Phillip und ich kamen jedes Mal angerannt, wenn sie uns einlud. Ihre Dinnerpartys waren immer höchst unterhaltsam und interessant. Und unheimlich vorteilhaft, wenn man in meiner Branche arbeitet.
Zu meiner Linken saß Jussuf Gholam, ein prominenter jordanischer Politikprofessor von der Kennedy School of Government in Harvard. Er war praktisch Dauergast in sämtlichen Nachrichtensendungen, wenn es um Nahostfragen und den Irakkrieg ging. Es reichte natürlich nicht, wenn Experten wie Gholam ein Dutzend Bücher und hunderte von Zeitungsartikeln veröffentlicht hatten, sie mussten schon regelmäßig im Fernsehen zu sehen (sprich: prominent ) sein, um es in den Dinnerparty-Zirkel des Grids zu schaffen. Gholam hatte kürzlich ein Buch veröffentlicht, einen Bestseller mit dem Titel: 9/11: Warum wir machtlos sind und Ihre Stadt die nächste sein könnte . Das Buch war sofort auf Platz eins der Sachbuch-Bestsellerliste der New York Times geschnellt und war erst vor drei Wochen erschienen.
Da meine Dinnerpartner zur Rechten und Linken gerade beschäftigt waren, hatte ich Zeit, meinen Blick ein wenig herumschweifen zu lassen. Die Wände des Esszimmers erstrahlten in einem honigmelonenfarbenen Schimmer, in dessen Glanz man sich fühlte wie in einem hermetisch verschlossenen Kokon. Zwölf Hiroshi-Sugimoto-Fotobilder von nebligen Ufer- und Meerlandschaften zierten, in farblich abgestimmten Schildpattrahmen, die Wände. Der riesige runde Esstisch war aus kompliziert ineinander verschachtelten, dreieckigen Holzteilen zusammengesetzt und bot Platz für sechzehn Gäste. Ich bewunderte mein perfektes Gedeck und fragte mich unwillkürlich, wie viel Mühe wohl hinter dem ganzen Aufwand steckte.
Mein Gedeck bestand aus einem kleinen Teller, in dessen Mitte sich kunstvoll gemalte Vögel tummelten, darunter ein größerer Teller mit den gleichen Vögeln, nur diesmal am Rand. Zur Rechten meines Platzdeckchens standen vier Kristallgläser: eines für Weißwein, eines für Rotwein, eines für Wasser und eine Champagnerflöte zum Dessert. Goldumrandete Platzkärtchen steckten in silbernen Miniaturäpfeln, der Name des jeweiligen Gastes in Kalligrafieschrift aufgemalt. Jeder Gast verfügte außerdem über seine eigenen kobaltblauen Pfeffer- und Salzstreuer. Von Cartier natürlich. In der Mitte des runden Tischs thronte ein Silberpokal mit einem kunstvollen Blumengesteck - zweifellos eine Trophäe, die Theodore Briarcliff II. um die Jahrhundertwende bei einer Segelregatta gewonnen hatte. Immerhin war das Gesteck so niedrig, dass man sich bequem mit seinem Gegenüber unterhalten konnte. Goldene Tannenzapfen und leuchtend rote und gelbe Herbstblätter sowie getrocknete Granatäpfel lagen dekorativ auf dem Tisch verstreut. Dutzende kleiner Votivkerzen in kristallenen Kerzenhaltern warfen ihren warmen Schein an die Decke. Ich musste mir plötzlich Peter in dieser Umgebung vorstellen. Er hätte diesen Pomp gehasst.
Phillip hatte sich derweil Christina Patten zur Brust genommen. Sie trug ein diamantfunkelndes Haltertop, aus dem ihre knochigen Schultern unvorteilhaft hervorstachen. Sie schob das Essen auf ihrem Teller hin und her, während Phillip ihr die Ohren darüber vollheulte, wie schwierig es heutzutage sei, eins der besseren Cottages in Lyford Cay zu ergattern. Zweifellos hatte sie ihm gegenüber wie alle Schickeria-Skelette behauptet, sie habe schon »mit den Kindern gegessen«. Susannah hatte keinen großen Respekt vor Christina, lud sie aber dennoch regelmäßig ein, weil sie trotz allem eine einflussreiche Figur auf dem glatten Society-Parkett war. Und in den allzeit auf den eigenen Vorteil bedachten Grid -Kreisen war das so gut wie ein Nobelpreis in Astrophysik.
Susannahs Gästeformel war auch heute wieder aufs Perfekteste aufgegangen: Ein junger Modedesigner von Gucci, der aussah wie Montgomery Clift, und sein Lebenspartner, Intendant eines renommierten Repertoiretheaters, füllten die Sparte Kultur- und/oder Schwulenszene. Eine junge schwarze lesbische Malerin (es gab eine zweijährige Warteliste, um eins ihrer Bilder zu bekommen), die von der Elfenbeinküste stammte, erfüllte die Minoritätsquote. Meine Wenigkeit und der Newsweek -Redakteur besetzten den Posten »Medien«. Man
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