Mrs Murphy 06: Tödliches Beileid
nütze«, erwiderte Mrs Hogendobber, die selten Kritik äußerte. »Seine Liebesaffäre mit sich selbst, die ist das Problem in der Familie. Diese Liebe duldet keine Nebenbuhler.«
Darauf musste Harry lachen; Miranda hatte nicht beabsichtigt, komisch zu sein, aber sie hatte den Nagel auf den Kopf getroffen.
Samson verschränkte die Arme. »Es gibt Menschen, die keine Kinder haben sollten. Kendrick ist so einer.«
»Wir können nicht zulassen, dass das Mädchen sich so aufführt. Sie wird ein heilloses Durcheinander anrichten.« Miranda fügte nüchtern hinzu: »Nicht alle sind so tolerant wie wir.« Sie tippte sich mit dem Zeigefinger ans Kinn und verlegte das Gewicht auf den rechten Fuß. »Ich rufe Father Michael an.«
Samson sagte nach kurzem Zögern: »Miranda, was versteht ein Priester von Teenagern … von Frauen?«
»So viel wie jeder andere Mann«, platzte Harry heraus.
»Das hat gesessen«, erwiderte Samson.
»Samson, ich wollte nicht gemein sein. Die Sache hat Sie vermutlich mehr mitgenommen, als Sie sich anmerken lassen. Jody ist zwar noch ein Kind, aber ein Schlag unter die Gürtellinie ist ein Schlag unter die Gürtellinie«, sagte Harry.
»Ich könnte aus dieser Stadt wegziehen, in der die Leute gelegentlich verzeihen, aber nie vergessen. Ich habe schon daran gedacht, aber« – er schob die Hände in die Taschen – »ich bin nicht der Einzige in Crozet, der einen Fehler gemacht hat. Ich bin zu stur, um den Rückzug anzutreten. Ich gehöre hierher, so gut wie jeder andere.«
»Ich hoffe nicht, dass Sie denken, ich sitze über Sie zu Gericht.« Miranda griff sich mit fahriger Hand an den Hals.
»Ich auch nicht.« Harry lächelte. »Es fällt mir schwer, unvoreingenommen an dieses Thema heranzugehen, nach dem, was ich selbst erlebt habe … ich meine, ausgerechnet Boom Boom Craycroft. Fair hätte sich eine aussuchen können, die – Sie wissen schon.«
»Das war ja eben das Aufregende für Fair. Dass Boom Boom so naheliegend war.« Samson merkte, dass er seine Post auf dem Schalter hatte liegen lassen. »Ich geh wieder an die Arbeit.« Er nahm seine Post an sich, bevor Pewter, die sich von dem Drama erholt hatte, sich darauf niederlassen konnte. »Ein wirklich schlechtes Gewissen macht mir, dass ich mich an den Treuhandgeldern vergriffen habe. Das war übel. Mich in Ansley zu verlieben mag unbesonnen gewesen sein, aber es war kein Verbrechen. Das Vertrauen der Kunden zu missbrauchen, das war unrecht.« Er seufzte. »Ich habe dafür bezahlt. Ich habe meine Lizenz verloren. Die Achtung der Leute. Mein Haus. Hätte beinahe Lucinda verloren.« Er hielt inne, dann sagte er: »So, Leute, das war genug Seifenoper für heute.« Er stieß die Tür auf und atmete die frische Herbstluft ein.
Miranda ging gemächlich zum Telefon, wählte und bekam Lucinda Coles an den Apparat. »Lucinda, ist Father Michael da?«
Er war da, und Lucinda stellte die gute Frau durch.
»Father Michael, haben Sie einen Augenblick Zeit?« Miranda schilderte die Ereignisse des Nachmittags in allen Einzelheiten.
Als sie aufgelegt hatte, fragte Harry: »Wird er mit ihr sprechen?«
»Ja. Aber er wirkte zerstreut.«
»Vielleicht haben die Neuigkeiten ihn beunruhigt.«
»Natürlich.« Sie nickte. »Ich räume den Kühlschrank aus. Der muss gründlich sauber gemacht werden.«
»Bevor Sie das tun, da ist ein Haufen Post für Roscoe Fletcher. Wollen wir sie nicht sortieren und nach der Arbeit bei Naomi vorbeibringen?«
Die beiden Frauen kippten die Post auf den Arbeitstisch im Hinterzimmer. Eine Reihe Rechnungen bereiteten ihnen Gewissensbisse. Die Frau hatte ihren Mann verloren. Rechnungen zuzustellen schien ihnen herzlos. Kataloge, Zeitschriften und handgeschriebene persönliche Briefe füllten einen der Plastikbehälter, die sie zum Transport der Post benutzten, nachdem sie sie aus den großen Leinwandsäcken gekippt und sortiert hatten.
Ein Jiffy-Umschlag war an einem Ende eingerissen, sodass die graue Füllung herausquoll. Harry ging zum Schalter, um Klebestreifen zu holen.
Tucker beobachtete dies. Sie wollte spielen, aber die Katzen sprachen über den Zwischenfall, den sie soeben miterlebt hatten. Tucker bellte.
»Tucker, wenn du mal rausmusst, da ist die Tür.«
»Können wir nicht spazieren gehen? Bloß einen kurzen Spaziergang machen? Du brauchst eine Pause.«
»Hoppla.« Harry hatte den Umschlag fallen lassen. Der kleine Riss wurde breiter.
Mrs Murphy und Pewter hörten auf zu reden und sprangen
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