Mueller, Carin
waren einfach zu komisch. Die eine aschfahl vor Entsetzen, die andere wie ein Kleinkind vorm Weihnachtsbaum. Dann sah sie auf ihre Uhr. »Ihr Lieben, ich muss los!« Sie raffte ihre Sachen zusammen und befreite Hugo aus seinem Gefängnis. Ehe er sich wie von Sinnen auf Olga stürzen konnte, klemmte sie ihn sich unter den Arm. Im Rausgehen rief sie noch: »Du kannst dich übrigens bei Giovanni und Christian bedanken, die haben sich schwer für dich ins Zeug gelegt!« Sie hörte ein ersticktes Geräusch und sah, wie Jenny sich den Mund zuhielt und anschließen leise murmelte: »Erschießt mich bitte jemand?«
Die nächsten Wochen entwickelten sich außerordentlich erfreulich. Die Hundekrise war vergessen, die diversen Fehdehandschuhe wieder weggepackt, und das Geschäft boomte. Antonella hatte inzwischen den Vertrag mit Balducci Design unterzeichnet. Nächstes Jahr würde ihre erste Leuchten-Kollektion auf der Möbelmesse vorgestellt werden – eine Steh-, eine Decken- und zwei verschiedene Tischlampen. Im Loft hatten sie etwa fünfzig Quadratmeter mit Leichtbauwänden abgetrennt und ein richtiges Schneideratelier eingerichtet. Dort lief Katia täglich zur Höchstform auf. Die Arbeit machte ihr unglaublich viel Freude, und sie hatte angefangen, neben den Auftragsarbeiten auch eigene Musterteile zu fertigen. Sie produzierte Tischdecken, Bettwäsche, Kissenbezüge, Decken und Vorhänge im Akkord. Außerdem fertigte sie aus Stoffresten Hundehalsbänder und Leinen. Die waren zwar in erster Linie für Hugo und Olga gedacht, aber inzwischen hatte sie schon diverse Sets an begeisterte Kunden verkauft. Sie fühlte sich langsam heimisch – hier in Frankfurt und vor allem in ihrem neuen Leben. Und dass es so erfüllend sein könnte, für sich selbst zu sorgen, hätte sie auch nie gedacht. Natürlich war sie Lichtjahre von ihrem bisher gewohnten Lebensstandard entfernt, aber außer ihren aufwändigen Schönheitsritualen vermisste sie nichts. Ihre letzte Botox-Injektion lag inzwischen acht Monate zurück, und die Bleaching-Peelings waren auch nicht mehr drin. Das Ergebnis waren nervige Sommersprossen auf ihrer sonst makellosen Porzellanhaut und deutliche Stirnfalten. Antonella hatte das gewohnt pragmatisch kommentiert: »Jetzt siehst du endlich aus wie ein normaler Mensch!« Eine ähnlich niveauvolle Bemerkung wie »Nun passen deine Silikonmöpse wenigsten zum restlichen Körper!« als Antwort auf ihre Gewichtsklagen. Die Nadel auf der Waage zeigte nämlich weiterhin in die völlig falsche Richtung. Nun ja, egal, sie war aktuell sowieso an keiner Beziehung interessiert, und deshalb war es gleichgültig, wie sie aussah. Sie dachte an den Spruch, den sie kürzlich irgendwo gehört hatte: »Wie wäre die Welt ohne Männer? Voller glücklicher, dicker Frauen!« Wohl wahr. Natürlich hatte sie nicht ernsthaft vor, ewig Single zu bleiben. Irgendwann würde sie sich den nächsten reichen Mann suchen. Aber bis dahin wollte sie ihr selbstbestimmtes Leben genießen! Und am Üppigkeitsfaktor würde sich in absehbarer Zeit sowieso nichts ändern, denn inzwischen war es Juni und die Fußballweltmeisterschaft in Südafrika im vollen Gang. Wie es das Schicksal so wollte, war sie in eine Truppe voller manischer Fußballfans geraten. Antonella und Giovanni waren wie von Sinnen, weil sie gleich mit zwei Mannschaften leiden mussten, und selbst für den sonst so zurückhaltenden Adrian waren die Prioritäten eindeutig: Es musste nach Möglichkeit jedes Spiel gesehen werden! Die Konsequenz war eine endlose Folge von halböffentlichen Grillpartys im Hinterhof der Weberstraße oder bei Hugo’s Affairs. Dort hatten sie am 18. Juni auch Antonellas fünfunddreißigsten Geburtstag und Katias offiziellen Einstand als »Hugorianerin« gefeiert – eine lustige Party mit Freunden, Kunden, Handwerkern. Eigentlich lief also alles perfekt, wenn man von zwei Störfaktoren absah. Der eine hieß Giovanni, der aus unerfindlichen Gründen täglich intensiver mit ihr flirtete. Klar war sie geschmeichelt. Er sah unglaublich gut aus, und wenn er ihr mit seinen dunklen Glutaugen heiße Blicke zuwarf, wurde ihr ganz schwummerig. Aber, und da hatte Oma Rosi wohl Recht, er war ein Windhund und auch abgesehen davon völlig indiskutabel. Was sollte sie bitte schön mit einem Schreiner anfangen? Sie ging ja auch nicht auf die Zeil zum Shoppen. Und da sie derzeit auch nicht auf die Goethestraße gehen konnte, war das Thema Mann einfach nicht existent. Basta! Der andere,
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