Muscheln für Mutti: Roman (German Edition)
Vietnamesinnen, und etwas größer ist sie auch. Nein, das ist doch … das kann doch nur … das muss!
Unauffällig betrete ich den Shop, der vor Stoffen überquillt. Es riecht eher leicht muffig als sommerfrisch. Beim Näherkommen halte ich mir den Mund zu, um nicht laut ihren Namen zu rufen. Was für eine passende Überraschung, diesen Zufall muss ich einfach ausnutzen. Langsam gehe ich zur Umkleide und hebe den rechten Zeigefinger. Durch den braunen Vorhang … piekse ich ihr in die Seite!
» Ohoioi!« Erschreckt schnellt die Frau herum und reißt sich den Vorhang vor die blanken Brüste. Es ist … nicht Jana! Perplex schaue ich eine Einheimische an. Im Spiegel hinter ihr sehe ich, dass ich sogar ziemlich perplex glotze, dämlich geradezu. Das kann ich mir in diesem Moment nicht mal vorwerfen. Die Frau umklammert den Vorhang ganz fest und starrt mich fassungslos an. Sie ist doch Asiatin – warum lächelt sie nicht?
» Sorry, falsche Frau … äh … wrong woman«, sage ich verdruckst.
» Andi, was machst du denn hier!?« Kristin hat mich bemerkt.
» Och du, bisschen rumgucken.« Ich nicke der Frau kurz schuldbewusst zu und schlendere schnell zu ihnen rüber. » Hier, Kristin, ein einfaches Abendkleid gibt’s schon ab 20 Euro, dieser maßgefertigte Anzug kostet 200 Euro.«
» Das wissen wir doch längst.«
» Tja, so ist das.«
Die Asiatin verlässt die Umkleide und den Laden, puh.
» Gut, dass du da bist«, freut sich Mutti, » ein schönes schwarzes Hemd habe ich hier für dich entdeckt. Schau mal, mit roten Schriftzeichen.«
» Ganz nett, Mutti, aber ich brauch nix.«
» Du sollst doch auch mal was Schickes tragen«, stellt Kristin fest.
» Tipptopp, alles tipptopp«, sage ich und ziehe an meinem T-Shirt.
» Ach ja, und wie nennt sich das: Schlabberstyle für Schlaksige?« Sie scheint wieder mal zufrieden mit ihrer neuesten Wortschöpfung.
» Die haben doch gar nicht meine Größe. Pech, tja!«
» Die fertigen alles an, sogar Mode für Mollige«, erklärt Kristin.
» Danke für die freundliche Erinnerung!« Antje wirkt immer noch säuerlich.
» Probier’s doch einfach an.« Mutti hält mir das schwarze Hemd hin.
» Au ja, wir kleiden dich ganz neu ein!« Auf einmal scheint Antje froh, nicht mehr im Mittelpunkt des Ladens und Interesses zu stehen.
» Nein!« Ich bin doch keine ihrer Puppen, die sie früher an- und ausgezogen haben.
» Ich weiß doch noch nicht mal, was die Schriftzeichen darauf bedeuten. Womöglich: ›Touristendepp‹.«
Kristin kreist mit den Schultern, so als wollte sie sagen: »Ja, und?«
Derweil hat sich eine scheue Asiatin mit einem Maßband neben mich gestellt. Servicebeflissen scheint sie es mir an die Hose halten zu wollen, wartet allerdings noch auf irgendein Zeichen von mir.
» 20 cm«, behaupte ich. » Mindestens.«
» Ey, Andi!«, beschwert sich Antje.
» Genau, deine Fußlänge interessiert doch gar nicht bei diesem Hemd.« Mutti schüttelt unwirsch den Kopf.
Ich sollte wohl froh sein, überhaupt neue Klamotten von ihr angeboten zu bekommen. Als Kind musste ich die Hosen meiner älteren Schwester auftragen und, schlimmer noch, ihre Gesichtscreme.
Die Asiatin schaut mich an wie ein Hund, der auf das Werfen des Stöckchens wartet.
» Gute Frau, tatsächlich bin ich aus meinem Kommunionsanzug rausgewachsen. Und ganz ehrlich: Ich brauch auch keinen neuen!«
Nun hält sie mir das Maßband vor die Brust – so hoch sie ihre Arme eben strecken kann.
» Womöglich haben die ihre Sachen in Europa fertigen lassen, in günstiger Kinderarbeit.«
» Das ist nicht witzig«, sagt Antje spitz.
Spielverderberin. Da war ja die Einkleidung bei der Bundeswehr lustiger.
» Jedenfalls muss ich jetzt los.« Ich drehe mich zur Tür um.
» Wie du willst, vorher kaufen wir dir aber noch dieses Hemd.« Mutti hält es immer noch fest.
» Herrje, wenn’s denn unbedingt sein muss.«
» Gut! Aber zeig dich nicht zu interessiert, Andi, wir wollen ja noch handeln!« Daran hat Mutti Spaß. Ja, zu verhandeln ist hier üblich, und sie kann dabei ihr Englisch testen. »15 Dollars, yesyes«, sagt Mutti zur Asiatin und fuchtelt dabei mit den Fingern.
Wobei ich ihr schon beim Frühstück gesagt habe, dass sie nicht so übertrieben feilschen soll, um den Einheimischen nicht den letzten Gewinn zu nehmen. Obwohl das natürlich gut für unser Erbe wäre.
Mutti kommt richtig in Fahrt. » Los, Andi, du musst den Preis noch weiter drücken!«
Diese gut gemeinte Bevormundung wird wohl
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