Muscheln für Mutti: Roman (German Edition)
zerbrochen.«
Darum also hat Kurt mir die Hälfte seiner Pizza geschenkt. Ich überlege, ihm 50 Prozent seiner Zahnarztrechnung zu zahlen.
Der Sonnenuntergang führt vorübergehend zu staunender Stille, wie eine Laterne leitet die rötliche Kugel unsere Blicke, bis der Fluss sie auslöscht.
Während wir Nudelsuppe löffeln, erzählt Jana, dass sie vor Jahren in Abu Dhabi gearbeitet und in dieser Zeit bei ihrem arabischen Freund gewohnt hat. Was soll das, warum erwähnt sie das? Will sie zu ihm zurück? Habe ich mir ihre Zuneigung etwa nur eingeredet?
» Ja, die sind da schon anders drauf«, erinnert sich Jana.
» Allerdings!«, wirft Walter dazwischen. » Die Araber verpacken die eigenen Mädels wie Weihnachtsgeschenke und sprechen Touristinnen wie Freiwild an.«
» Touristen sind böse!«, pflichtet Mutti ihm bei.
» Du meinst Terroristen?«
» Sag ich doch.«
Jana fährt sich durch die schwarzen Haare. » Bei mir war’s halb so wild. Ulkig waren die Schwestern meines Freundes. Sie haben ihm Essen zugeschickt, weil sie dachten, ich würde ihn nicht richtig versorgen!«
Nein, ich lache nicht mit. Denn zutrauen würde ich es ihr! Na klar, in Saigon hat sie sich doch noch über unsere zu kleinen Männerportionen gewundert. Sehr aufmerksam, diese arabischen Schwestern. Antje und Kristin würden mir keine Wurstbrote in die Post packen. Janas Araber, ihm kann es bei ihr nicht wirklich geschmeckt haben, denn ihre Beziehung hat ja nur zwei Jahre gehalten!
Wie gut, dass ich das nur gedacht und nicht ausgesprochen habe. Ich mache Fortschritte.
» Die haben im Nahen Osten recht eigene Bräuche.« Jana amüsiert sich, ohne sich lustig zu machen. » Die Schwestern suchen für ihre Brüder die Braut aus.«
» Wie jetzt … die Schwestern?«, wundere ich mich so hörbar wie argwöhnisch.
» Jaa, sehr geile Gegend da!« Kristin nutzt wie gewohnt den Steilpass.
» Nun, die Braut bietet dem Auserwählten dann Tee an. Ist er gesüßt, bedeutet es: Sie ist einverstanden. Ist er ungesüßt: Pech gehabt.«
» Äh, und würden mir als Bruder wenigstens noch meine Rechte verlesen?«
» Wenn du den Tee austrinkst, heißt es, du bist dabei. Wenn du ihn stehen lässt, gibt’s keine Hochzeit.«
» Und kein Chaos«, murmelt Sven aus dem Hintergrund.
» Trotzdem, das ist doch wie russisches Roulette!« Es gibt Sitten und Gebräuche, die ich einfach in den Orbit kicken würde. Aber mit Anlauf.
» Tja, entweder du stellst dich gut mit deiner Schwester – oder du hast Ärger fürs Leben.«
» Ist klar, Kristin, du würdest natürlich als Erstes deine kleine dicke Freundin an den Mann bringen. Supertoll.«
» Die Marion ist doch nett.« Mutti, es gibt Dinge, die kannst du nicht kapieren. » Also bei uns im Senioren-Club, da sind ja schon Männer, denen man einen Zitronentee anbieten könnte. Aber es gibt eine Frage, die will ich nie wieder von einem Mann hören: ›Was gibt’s zum Mittagessen?‹ Nie wieder!«
» Was ist so komisch an der Frage?«
» Ruhig, Andi. Die anderen Witwen im Club würden jedenfalls auch nicht wieder heiraten. Vor allem, weil die gnädigen Herren schon mit uns zusammenziehen wollen – noch bevor wir mit ihnen überhaupt richtig zusammen sind!«
» Falsche Reihenfolge«, frotzle ich.
Mechthild pflichtet Mutti bei. » Die alten Männer wollen doch nur versorgt werden.«
» Was will ich?« Kurt, der gerade eintrifft, glaubt wohl seinen Namen verstanden zu haben.
» Schöne neue Zähne«, sagt seine Frau und wechselt damit das Thema.
Ich überlege, für Kurt in der Küche nach Milchreis zu fragen, und stehe auf. Nee, das wäre doch recht unmännlich, sein renoviertes Gebiss hin oder her, deswegen ist er noch lange kein Fall für Schnabeltasse und Seniorenbrei. Ich setze mich wieder.
Gesättigte Zufriedenheit macht sich am Tisch breit. Um die Lichtfunzeln an der Holzdecke schwirren einige Mücken, in der Trockenzeit sind es selbst am Mekong nur wenige. Sven hat sich gewohnt schweigsam am Gespräch beteiligt. Hat er die zwei Flaschen Wein, die vor ihm stehen, etwa alleine ausgetrunken? Nur noch wenige Schlucke schimmern am Flaschenboden.
Plötzlich hebt er sein Glas, nein, stößt es ruckartig nach oben und schmettert in den Nachthimmel.
» Halleluja!«
Sofort ist ihm sämtliche Aufmerksamkeit sicher. Die Mücken reagieren erschreckt, die Frauen besorgt, wir Männer gespannt.
» Isch, isch geh ins Zöli… Zölibat!« Er schwenkt sein Weinglas vor uns wie ein Weihrauchfass.
» Jau, aber zum
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