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Muttergefuehle

Muttergefuehle

Titel: Muttergefuehle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rike Drust
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Schippe draufgelegt. Selbst Fremde wussten ganz sicher, wenn er brüllte, weil er nicht einschlafen konnte: »Klarer Fall! Sie hat Hunger.«
    Mich macht so viel Selbstbewusstsein bei so wenig Ahnung jedes Mal aufs Neue sprachlos. Die unerwünschten, unqualifizierten Kommentare werden stets als unanzweifelbare Tatsachen geäußert. Statt eines höflichen »Könnte es sein, dass Ihr Kind müde ist?« setzt es ein allgemeingültiges »Es ist müde!« in Kombination mit einem allwissenden, bedeutungsschwangeren Blick. Diesen Blick, allerdings strafender Natur, gibt es übrigens auch, wenn das Kind in der Öffentlichkeit einen Wutanfall hat. In diesen Situationen die Ruhe zu bewahren, finde ich fast unmöglich. Natürlich will ich meinem Kind zeigen, dass ich diesen Anfall ruhig, aber konsequent überstehe. Ich bin aber nicht ruhig. Ich schwitze. Ich weiß nicht, was jetzt richtig ist. Ich spüre tausend Blicke auf uns gerichtet. Eltern, deren Kinder so was NIE gemacht haben, schütteln fassungslos die Köpfe, und alle scheinen mich gerade zur unfähigsten Mutter Europas zu küren. Von jeder Seite ertönen Kommentare. Sie reichen von »Bloß nicht verwöhnen!« bis zu »Gerade jetzt sagen, dass Sie es lieben!«.
    Jetzt etwas Schlagfertiges, denke ich mir jedes Mal, etwas, das diesen Klugscheißern so nachhaltig das Maul stopft, dass sie nie wieder eine Mutter mit so einem Mist nerven. Aber mir fällt nichts ein, und die meisten Situationen enden so: Ich sage gar nichts, klemme mir mein tobendes Rumpelstilzchen unter den Arm und entferne mich lächelnd (!) und so unauffällig wie möglich vom Tatort. Und mit jedem Meter, den ich die Klugscheißer hinter mir lasse, werde ich wütender. Hallo?
    Jede Mutter hat in dieser Situation mindestens zehn Menschen hinter sich verdient, die ihr den Schweiß von der Stirn tupfen, einen stärkenden Snack reichen und sie dann lautstark so lange anfeuern, bis sogar das eigene Kind mit einstimmt. Es gibt nur ein aufmunterndes Lächeln? Würde ich auch nehmen.
    Das mache ich bei Klugscheißern und öffentlichen Wutanfällen:
    • Vorab: Wenn ich selbst auf einen öffentlichen Wutanfall stoße, gucke ich nicht das Kind, sondern die Mutter an, lächle und sage, wenn es passt, etwas Aufmunterndes.
    • Ich verschwende keine Gedanken an den Versuch, ruhig zu bleiben. Das schaffe ich eh nicht.
    • Wenn ich schlecht drauf bin, suche ich Blickkontakt mit umstehenden Menschen. Meist ist tatsächlich einer dabei, der aufmunternd lächelt. Das tut gut und entspannt.
    • Bin ich gut drauf, versuche ich mich an schlagfertigen Antworten, die ich mir vorher zurechtgelegt habe:
    Das Kind schreit. Mit wichtigem Gesichtsausdruck wird erklärt: »Es hat Hunger/Durst/Zähne/…«
    • Schön wär’s, dann könnte ich ja etwas ändern. Aber es weint wegen Ihrer Frisur.
    • Danke für den Hinweis. Ich habe es gerade erst entführt und kenne es noch nicht so gut.
    • (Mit Computerstimme:) Die Antwort war leider falsch. Versuchen Sie es noch einmal.
    • Entschuldigung? Ich hatte gar nicht gehört, dass ich Ihnen eine Frage gestellt hatte.
    • Hat er Ihnen das gesagt? Dabei soll er doch nicht mit Fremden reden.
    Das Kind hat einen Wutanfall. Mit tadelndem Blick wird die Mutter abgestraft.
    • Gefällt es Ihnen? Für 80 Euro können Sie es einmal kräftig schütteln.
    • Wenn Sie noch länger gucken, muss ich mir das leider bezahlen lassen.
    • Haben Sie ein unnatürliches Interesse an kleinen Kindern?
    • Wenn Sie sich gern aufregen, kann ich Ihnen auch sagen, dass Sie scheiße aussehen.
    • Frau Saalfrank? Sie sehen im Fernsehen ganz anders aus.
    Mach ich. Hab ich. Kauf ich.
    Der Kaufrausch und der Mitmachwahn.
    Was in der Alkoholwerbung tanzende Menschen sind, sind in der Werbung für Schwangeren-Produkte bemalte Bäuche. In fast jeder Anzeige malt entweder die Schwangere selbst oder ein kleines, niedliches Mädchen (zirka acht Jahre, blonde, lange Haare, Typ große verantwortungsvolle Schwester) mit Creme oder hautfreundlicher Fingerfarbe einen Smiley auf den Bauch. Was soll das? Stimmt etwas mit mir nicht, dass ich weder einen mit Ying & Yang bemalten Gipsabdruck von meinem Bauch übers Sofa hängen wollte noch meinen Bauch selbst mit Herzen, kleinen Blümchen oder Tierchen bemalt habe?
    Mein Bedürfnis danach, mich zum Horst zu machen, war schon dadurch gestillt, dass ich aussah wie ein aufgepusteter Frosch und mir ganz sicher war, dass Tomte ihr Lied »Der letzte große Wal« für mich geschrieben

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