Muttergefuehle
und sein Bauch war weich. Auch wenn ich ihn auf den Arm genommen habe, hat er gebrüllt, gebrüllt, gebrüllt. Ich habe ihn so oft vor mir hochgehalten und ihn, häufig ebenfalls weinend, gefragt: »Was hast du denn? Was soll ich denn noch machen, damit du endlich aufhörst zu weinen?« Es hat mich verrückt gemacht; schließlich wollte ich ja unbedingt, dass es meinem Sohn gut geht und dass er sich wohl bei mir fühlt. Wenn ich draußen mit ihm unterwegs war und er wie am Spieß brüllte, während ich ihn im Kinderwagen durch die Gegend schob, war es besonders schlimm. Die Leute guckten und straften mich mit Blicken ab, weil ich mein Kind irgendwann einfach schreien ließ. Oder sie beugten sich in den Kinderwagen und fragten mit besorgter Stimme: »Was hast du denn?« Manchmal hätte ich ihnen gern das Kind und meine Telefonnummer in die Hand gedrückt und gesagt: »Keine Ahnung, aber wenn Sie es herausgefunden haben, rufen Sie mich an. Ich hol jetzt meine Stiefel vom Schuster.« Aber ich war leider nicht schlagfertig, sondern nur frustriert und verzweifelt. Ich habe mich so furchtbar gefühlt, weil ich nicht dafür sorgen konnte, dass es meinem Kind bei mir gut geht. Und als mich dann das Gebrüll nicht nur nervös machte, sondern auch nervte, wurde es noch schlimmer. Wie bin ich nur auf die Idee gekommen, ein Kind haben zu wollen? Ganz offensichtlich wusste ich nie, was es hat, und konnte es demzufolge auch nicht glücklich machen. Dass sein Verhalten normal war, weil ja schon »nicht schreien« als Indiz für zufrieden gilt, bis das Kind lächeln kann, war für mich keine Entschuldigung. Erst nachdem er mir die ersten Male sein zahnloses Lächeln geschenkt hat, wurde es besser. Er schrie immer weniger, und ich merkte, dass es ihm die meiste Zeit gut ging. Irgendwann fing ich an, unsicher zu werden und mir Sorgen zu machen, wenn er NICHT brüllte; als er eine Lungenentzündung hatte und so schlapp war, dass er nicht einmal mehr weinen wollte, zum Beispiel. Er hing auf meinem Arm rum und machte nichts. In diesem Moment habe ich mir sehnlichst gewünscht, dass er mit mir kommuniziert, sogar durch Anschreien.
Ach, wie sehne ich den Tag herbei, an dem er endlich auf meine Frage »Was hast du denn?« eine Antwort geben kann, die uns allen weiterhilft. Wenn er nicht mehr denkt, Aua ist das Wort dafür, dass wir nachts an sein Bett kommen, und nicht mehr auf jede Frage von »Hast du Zahnschmerzen?« bis hin zu »Möchtest du gern dein Zimmer mit Pyramiden aus dem Erzgebirge vollstellen?« mit Ja antwortet.
Das mache ich, wenn ich nicht weiß, was das Kind hat:
• Ich probiere alles aus, worauf ich Einfluss habe. Wenn alles vergeblich ist, halte ich mein Kind fest und sage mir, dass wir ja auch mal einfach so schlechte Laune haben und dass ich mein ganzes Leben lang keine Antwort auf die Frage bekommen werde.
• Ich sehe zu, dass ich nicht zu viel allein mit dem schreienden Kind bin, weil ich dann die Verantwortung und die nervliche Belastung leichter ertragen kann.
• Ich frage befreundete Mütter um Rat beziehungsweise nach Unterstützung.
Hier steht, er hat mindestens Krebs!
Die Panik beim Googeln von Krankheitssymptomen & Co.
Ich suchte Rat und Zuspruch, und alles, was ich fand, waren Panik, Besserwisserei und Moralkeulen. Das Internet nach Kinderkrankheiten zu befragen, ist alles andere als eine gute Idee. Während Seiten wie netdoktor oder medinfo noch relativ neutral Symptome, Verlauf und Behandlung erläutern, sind Internetforen eine echte Parallelwelt:
In dieser Welt ist keine Krankheit harmlos. Bei keinem einzigen Symptom kann geraten werden, mal ein paar Tage abzuwarten, hier ist alles schlimm und schrecklich und bedrohlich. Vor allem gibt es in dieser Parallelwelt nicht einen einzigen Kinderarzt, der eine richtige Diagnose stellen kann, geschweige denn die richtigen Medikamente verschreiben. Hier fegen Mütter die Arztdiagnosen vom Tisch, stellen neue und bestimmen im Feldwebelton alle weiteren Schritte. Dass sie Recht haben und die Hilfe suchende dumme Mutter alles falsch und schlecht macht, versteht sich von selbst – und diese Einstellung wird auch in dieser Deutlichkeit herausgepöbelt.
Das erste Mal gelangte ich in diese Parallelwelt, als ich wissen wollte, ob ich als Schwangere beim Schwimmengehen etwas beachten muss. Danach hatte ich tatsächlich kurzfristig ein schlechtes Gewissen, und zwar nicht, weil ich nach einem Bauchklatscher vom Fünfer ungeschützten Gruppensex in der Sauna
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