My Lady 0145 - Sheila Bishop - Der geraubte Kuss
unterbringen. Außerdem war Parmouth nicht London, wo ein Mann unbemerkt den Freuden eines Doppellebens nachgehen konnte.
Endlich war es dem Kutscher gelungen, die Hauptstraße zu finden. Doch der Tag neigte sich dem Ende entgegen, und deshalb wurde in der nächsten Stadt, die eine geeignete Herberge zu bieten hatte, für die Nacht Rast gemacht. Hetty gab vor, schreckliche Kopfschmerzen zu haben, und begab sich unverzüglich in das Schlafgemach.
Olivia blieb mit Mr. Makepeace in dem kleinen Salon zurück, der zu den gemieteten Räumlichkeiten gehörte.
„Was soll ich tun?“ murmelte Alfred bedrückt.
Sie war vollkommen erschöpft und spürte, daß auch sie Kopfschmerzen bekam.
„Sie müssen Hetty den Kopf zurechtsetzen“, antwortete sie müde.
„Wie könnte ich? Ihr liegt nicht viel an mir, und wenn ich sie grob behandele, wird sie mich nie mögen.“
„Sie wird Sie niemals respektieren, falls Sie zu weich sind.“
„Ich hätte sie nicht heiraten dürfen“, sagte Alfred bekümmert. „Ich dachte, sie würde sich ändern, wenn ich sie von Parmouth fortbringe. Aber ich war ein Narr, zu hoffen, daß ich Mr. Brooke in ihrer Zuneigung ersetzen könne.“ Olivia betrachtete Mr. Makepeace mit einer Mischung aus Mitleid, Gereiztheit und Neugier. Er sah vollkommen niedergeschlagen aus. „Wie lange sind Sie sich schon der Gründe für Hettys kühles Verhalten bewußt?“ fragte sie vorsichtig.
„Sie meinen, wie lange ich bereits über Thomas Brooke Bescheid weiß“, erwiderte Alfred leise. „Gleich nach meiner Ankunft im April habe ich erfahren, daß er in Hettys Leben eine Rolle spielt. Ich habe sie im vergangenen Winter in London kennengelernt und bin nur in der Absicht nach Parmouth gekommen, um sie zu werben und sie zu bitten, meine Gattin zu werden. Sie wären überrascht, Miss Olivia, wüßten Sie, wie viele Leute es in Parmouth gibt, die mir eifrig berichteten, in welch peinliche Situation Hetty sich gebracht hatte. Alles angebliche Freunde Ihrer Familie und solche, die vorgeben, es nur gut zu meinen! Jeder warnte mich, Hetty einen Heiratsantrag zu machen. All das Gerede führte dazu, daß ich erst recht den Wunsch hatte, sie aus der mißlichen Lage zu retten und ihr durch mein Verhalten zu helfen, den Kummer zu verwinden.
Als sie meinen Antrag annahm, wirkte sie auf mich schon sehr ausgeglichen, und ich war überzeugt, sie könne mit mir glücklich werden. Ich hatte jedoch nicht damit gerechnet, daß Mr. Brooke zurückkommen und alle meine Bemühungen zunichte machen würde. Sobald ich zur Hochzeit eingetroffen war, merkte ich sofort, wie die Dinge standen. Was hätte ich tun sollen? Ich war darauf vorbereitet, daß Hetty die Verlobung lösen würde. Das hat sie nicht, und ich hätte es nie getan. Sie war schon einmal sitzengelassen worden. Ich wollte ihr eine zweite Erniedrigung ersparen. Nun glaube ich, daß ich ihr Leben ruiniert habe.“
„Ach, Unsinn!“ entgegnete Olivia und schüttelte den Kopf. „Hetty hat Sie abscheulich behandelt. Es wird Zeit, daß Sie aufhören, meine Cousine zu bemitleiden. Sie müssen endlich ein ernstes Wort mit ihr reden!“
„Meinen Sie, das wäre sehr klug?“ fragte Alfred zweifelnd.
„Ja! Sie müssen sich mit ihr aussprechen. Halten Sie ihr vor Augen, daß sie eine Verantwortung übernommen hat, der sie sich nicht so ohne weiteres entziehen kann. Sie ist jetzt eine verheiratete Frau und muß aufhören, sich wie ein verzogenes Kind zu benehmen. Und es hat keinen Sinn, Rücksicht auf sie zu nehmen, weil Sie Hetty lieben und der Ansicht sind, ihr sei übel mitgespielt worden. Sie müssen Druck auf sie ausüben und hart zu ihr sein. Sie hat immer erreicht, was sie wollte, weil in ihrer Familie bisher offenbar niemand gewagt hat, ihr die Meinung zu sagen. Der einzige, der nicht auf ihre Launen einging, ist Mr.
Brooke. Ich bin sicher, nur aus diesem Grund ist sie so vernarrt in ihn.“ Schweigend schaute Alfred die Cousine seiner Gattin an, furchte die Stirn und stand dann plötzlich auf. Er verabschiedete sich und begab sich in das Schlafgemach.
Der entschlossene Zug, den er um die Lippen hatte, ließ Olivia hoffen, daß er ihren Rat befolgen würde. Doch dann kam ihr der Gedanke, daß sie ihre Meinung viel zu freimütig geäußert hatte, weil sie auf Hetty so verärgert war. Es wäre schrecklich, wenn Alfred Makepeace jetzt etwas Falsches äußerte und alles nur noch schlimmer wurde.
Unversehens hatte sie Verständnis für Thomas Brooke und seine
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