My Lady 0145 - Sheila Bishop - Der geraubte Kuss
nachdrückliche Weigerung, ein so dummes, selbstsüchtiges Geschöpf wie Hetty zu heiraten. Und mehr und mehr stieg ihr Groll auf ähnlich törichte Frauen, die gedankenlos Männer vom Schlage eines Mr. Brooke ermutigten. Kein Wunder, daß sie als willige Opfer betrachtet und später mit Herablassung und Verachtung behandelt wurden. Gewiß hatte Mr. Brooke geglaubt, Olivia gehöre zu derselben Sorte Frauen, denn sonst hätte er in Rosamond's Bower mehr Hochachtung vor ihr gezeigt. Bestimmt war er überzeugt gewesen, leichtes Spiel mit ihr zu haben.
Nun, er hatte begreifen müssen, daß er im Irrtum war. Es bereitete ihr eine gewisse Genugtuung, daß sie ihm mit der Ohrfeige und dem durch den Ring verursachten Kratzer einen Denkzettel verpaßt hatte.
Nach einer Weile fragte sie sich, wie Mr. Makepeace mit seiner Gemahlin zurechtkommen mochte. Sie ging in die erste Etage, blieb im Flur vor dem Zimmer der Jungverheirateten stehen und hörte Alfred unentwegt sprechen. Als er endlich schwieg, vernahm sie Hettys Schluchzen. Doch er redete sofort weiter, und schließlich erwiderte ihre Cousine etwas in zaghaftem, bittendem Ton.
Vielleicht ersuchte sie den Gatten um Vergebung.
Olivia begab sich in ihr auf der anderen Seite des Ganges liegendes Zimmer und setzte sich auf das Bett. Minuten später klappte die Tür zu Hettys Schlafgemach, und Schritte stapften die Treppe hinunter. Nicht ahnend, was sie erwarten würde, begab Olivia sich zu der Cousine und fand sie am Frisiertisch sitzend vor. Hetty war bleich, hatte vom Weinen rote Augen und starrte mit niedergeschlagener Miene in den Spiegel. „Die vergangene halbe Stunde muß schwer für dich gewesen sein“, sagte Olivia mitfühlend. „Aber du mußt begreifen, daß dein Mann am Ende seiner Geduld war.“
„Das weiß ich“, erwiderte Hetty matt. „Der arme Alfred! Es tut mir so leid! Er war so verständnisvoll.“
„Verständnisvoll?“ wiederholte Olivia verblüfft, denn sie hatte befürchtet, daß Mr.
Makepeace viel zu streng mit Hetty umgehen könne.
„Ja, er hat mir erklärt, was er für mich empfindet und daß seine Gefühle für mich ihm geholfen haben, mich zu verstehen. Er meinte, er könne sich vorstellen, wie enttäuscht ich über Mr. Brookes Zurückweisung gewesen sein muß. Er war sehr einfühlsam und geduldig, und ich wäre am liebsten im Erdboden versunken. Jetzt ist er mir ein Glas Wein holen gegangen, damit ich mich stärken soll. Er wird gleich wieder hier sein.“
Olivia war so erleichtert über die Wende der Dinge, daß sie am liebsten laut aufgelacht hätte. Sie hatte sich ganz umsonst Sorgen gemacht. Alfred hatte ihren Rat nicht befolgt, sondern das Gegenteil getan und der Gattin Einblick in sein Innenleben gewährt, selbst auf die Gefahr hin, daß sie ihn auslachte.
Wunderbarerweise hatte er damit erreicht, was er wollte. Menschen waren unberechenbar, besonders dann, wenn es um die Beziehung zwischen Mann und Frau ging.
Von nun an veränderte sich die Stimmung zwischen den Eheleuten von Grund auf. Olivia redete sich nicht ein, daß die Cousine plötzlich in Liebe zu ihrem Gemahl entbrannt sei, aber sie zeigte mehr und mehr ihre Zuneigung und bewies Interesse für seine Ansichten. Wahrscheinlich hatte sie ein ähnliches Verhalten an den Tag gelegt, als sie im April, acht Monate nachdem sie von Thomas Brooke so schnöde sitzengelassen worden war, Mr. Makepeaces Heiratsantrag annahm.
Nun schien sie sich erneut alle Mühe zu geben, Mr. Brooke zu vergessen. Olivia war überzeugt, daß die Zeit den Beginn dieser Ehe romantisch verklären und Hetty den Gemahl dafür bewundern würde, wie er einen notorischen Roue aus ihrem Herzen verdrängt hatte.
Auf der Reise entlang der Westgrenze Englands wurden alle Sehenswürdigkeiten bestaunt, die einen Besuch wert waren, und endlich traf die Gesellschaft in dem Haus ein, das Mr. Makepeaces Vater in der Nähe der Stadt, wo er zu Geld gekommen war, inmitten eines von einem bekannten Gartenarchitekten gestalteten Parkes erbaut hatte. Es war ein modernes, gemütlich eingerichtetes Gebäude, größer als alles, was Hetty bislang bewohnt hatte. Das Anwesen in Parmouth hätte mühelos in einem Flügel dieses Landsitzes Platz gefunden, der Alfred Makepeace und seinem zukünftigen Stammhalter einen perfekten Rahmen für das Leben eines Gentleman bot. Er überschüttete seine Gemahlin mit Aufmerksamkeiten, und sie wurde von der gesamten Nachbarschaft um ihr Glück beneidet.
Olivia blieb so bei den Makepeaces,
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