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Myriams letzte Chance

Myriams letzte Chance

Titel: Myriams letzte Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luzie Bosch
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musste einfach funktionieren!
    Myriam bohrte die rostige Nagelspitze wieder und wieder in die Fasern der Schnur, die sie fesselte. Sie riss und zerrte, zog und drückte. Immer wieder hieb sie den Nagel versehentlich in ihren Arm, aber sie spürte es kaum. Ein paarmal entglitt er ihren Fingern, fiel zu Boden und rollte weg. Dann dauerte es kostbare Minuten, bis sie ihn wieder fand.
    Sie durfte keine Zeit verlieren. Dieser Typ, mit dem Sarah telefoniert hatte, konnte jeden Augenblick hier sein, um Charlie abzuholen. Myriam arbeitete fieberhaft. Dennoch dauerte es eine halbe Ewigkeit, bis sich die Schnur an einer Stelle zu lockern begann. Und als sie endlich riss, drang bereits graues Morgenlicht durch das schmutzige Fenster unter dem Dach. Es wurde Tag.
    Ihre Beine fühlten sich an wie Pudding, nachdem sie auch die Fußfesseln gelöst hatte und sich endlich hochgerappelt hatte. Allerdings nur einen Moment lang. Dann schoss das Blut zurück in ihre Füße. Es war ein Gefühl, als ob jemand mit heißen Nadeln auf sie einstach. Myriam wimmerte leise, während sie zur Tür humpelte. Bestimmt hatte Sarah sie abgeschlossen, bevor sie in Richtung Flughafen abgehauen war.
    Sie drückte die Klinke nach unten. Die Tür ging auf. Sie ging auf! Von einer Sekunde auf die andere waren die Schmerzen in ihren Beinen nur noch halb so schlimm.
    Myriam schlüpfte in den Stall und blickte sich ratlos um. Und jetzt? Ihr Handy hatte Sarah mitgenommen, ihr Fahrrad hatte April. Wie sollte sie hier bloß wegkommen?
    Charlie wieherte leise, es klang, als ob er sich räusperte . Ähem, ich bin auch noch da .
    Myriam humpelte zurück in die Kammer und wühlte eine Weile lang in den Kisten voller Gerümpel, die in einem Regal an der Wand standen, bis sie fand, was sie suchte. Eine Wäscheleine.
    Sue hatte den Pferdemädchen mehrmals gezeigt, wie man aus einem Stück Seil ein Pferdehalfter knotete. Ob Myriam sich noch an die verschiedenen Schritte erinnern würde? Am Anfang knüpfte man in der Mitte des Seils zwei lockere Knoten. Dann kam der schwierigste Teil: ein sogenannter Diamantknoten, aus dem zwei große Schlaufen heraushingen. Myriams Finger waren immer noch fürchterlich steif, ihre Hände fühlten sich an, als gehörten sie nicht zu ihrem Körper. Dennoch gelang ihr der Knoten nach ein paar Versuchen erstaunlich gut.
    Der Rest war einfach. Noch drei weitere Knoten, dann konnte sie Charlie das Halfter überlegen und an seinem Kopf justieren.
    â€žBraves Pferd“, lobte Myriam ihn, als er sich das verknüpfte Seil zum wiederholten Mal über den Kopf ziehen ließ, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Sie kürzte das Genickstück noch um einen halben Zentimeter. Eine letzte Anprobe. Dann saß das Halfter perfekt.
    Sie trennte die Enden der Leine mit einem Messer ab und knüpfte aus den Resten Zügel, die sie unten an den Schlaufen anknotete.
    Vorsichtig zog sie Charlie aus dem Bretterverschlag. Er ließ sich bereitwillig aus dem Stall ins Freie führen. Draußen begann er sofort zu grasen. Vermutlich hatte er den Verschlag seit letztem Sonntag nicht mehr verlassen.
    Inzwischen war es ganz hell. Myriam blickte sich suchend um. Wo waren sie eigentlich? Befanden sie sich noch in der Nähe der Ranch oder in einer ganz anderen Stadt? Sie war ja bewusstlos gewesen und hatte nicht mitbekommen, wie lange die Fahrt hierher gedauert hatte. Sie stieß einen leisen Schrei aus, als sie den Tower erblickte. Dahinten war der Flughafen! Dann musste die Ranch irgendwo auf der anderen Seite der Felder liegen, die sich kilometerweit hinter dem Stall ausbreiteten.
    Außer den Flughafengebäuden war kein Haus in Sicht. Zu Fuß würde sie vermutlich Stunden brauchen, bis sie irgendeine Ortschaft erreicht hatte. Und der Typ, mit dem Sarah vorhin telefoniert hatte, konnte jeden Moment aufkreuzen.
    â€žWir müssen hier weg. So schnell wie möglich“, erklärte Myriam.
    Charlie hob den Kopf und schnaubte, als habe er sie verstanden.
    â€žEinen Sattel kann ich leider nicht basteln. Aber die Indianer hatten früher auch keinen Sattel. Lässt du mich so aufsteigen?“
    Sie führte den Wallach zu einem Bretterstapel hinter dem Haus. Er blieb geduldig stehen, während sie nach oben kletterte und sich dann mit dem Bauch auf seinen Rücken legte. Ächzend zog sie ein Bein über den Pferdekörper, danach richtete sie sich mühsam auf.

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