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Mythor - 036 - Die Inseln der Verfemten

Mythor - 036 - Die Inseln der Verfemten

Titel: Mythor - 036 - Die Inseln der Verfemten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Terrid
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Das Lager aus weichsten Daunen war mit prunkvollen Seidenstoffen und Brokat versehen; in einem Räuchergefäß verschmorte langsam erlesenes Rauchharz. Im Hintergrund des Raumes häufte sich das, was Coroman Hassif von den Beutezügen seiner Leute zurückbehalten hatte: Gold in Kisten, gemünzt und in Barren, Silber in großer Menge, dazu edle Steine. Ein kleines Fass war angefüllt mit kostbarem Geschmeide.
    Was mochte aus den Frauen geworden sein, deren Hälse diese Schmuckstücke einst geziert hatten? Wie viel Blut hatte fließen müssen, um den unterarmhohen Behälter mit goldenen Siegelringen füllen zu können, mit Armbändern und gefassten Diamanten, Opalen, Türkisen, Saphiren, Smaragden? Ein Kasten, knapp einen Meter hoch, enthielt ausschließlich Perlen. Schätze von unvorstellbarer Köstlichkeit und Fülle lagen hier lose aufgehäuft, und es bedurfte schon eines sehr scharfen Auges, um zu erkennen, dass die Schicht der goldenen Münzen keine Handbreit maß, dass nur ein Zehntel der funkelnden Steine auf der Oberfläche der Schatztruhe tatsächlich echt war.
    »Nun?« fragte Coroman Hassif. »Glaubst du mir nun, dass unser eine goldene Zukunft harrt?«
    Mythor lächelte verhalten. Es war der Helm der Gerechten, der ihm den klaren Blick erhielt, der ihm die schäbigen Fetzen zeigte, mit denen der düstere Keller ausgeschlagen war, die schäbigen Polster, auf denen Coroman Hassif ruhte. Einzig die Sklavin, die aus dem Raum verschwunden war, als die Männer ihn betreten hatten, war echt gewesen, aber auch sie nicht annähernd so jung und reizvoll, wie sie hatte aussehen sollen.
    Prunkvolle Fassade, dahinter gähnende Leere. Oberflächenglanz, aber kein tiefer Schimmer. Hohl jede Gebärde.
    »Lass ihn verschwinden«, sagte Mythor halblaut. »Es lohnt nicht, sich weiter mit ihm zu beschäftigen.«
    »Was soll das heißen?« fragte Coroman Hassif und richtete sich zu seiner ganzen Größe auf.
    Müde winkte Mythor ab. Er war des Gaukelspiels überdrüssig.
    »Lass ihn verschwinden, den hohlen Popanz«, sagte er. »Ich kenne dein Doppelleben, Kalahar.«
    *
    Er weinte leise. Ein schäbiges Häuflein Elend war es, das auf einem zerschlissenen Lederpolster hockte, die Hände vor das Gesicht geschlagen hatte und die Schultern in krampfhaften Schluchzern hob.
    Mythor sagte nichts. Er konnte sich ausrechnen, was es für den Verwachsenen bedeutete, dass sein Doppelspiel durchschaut war. Es gab gar keinen Coroman Hassif. Der Hüne mit den beeindruckenden Muskeln, dem prachtvollen Gehabe, der Stärke und Kraft – alles nur Gaukelspiel, erwachsen aus der einzigen Fähigkeit, die der Krüppel wirklich besaß.
    Bilder vermochte er zu erzeugen, kraft seiner Magie. Schreckensbilder, die seine Feinde erheben ließen, Bilder von Größe und Stärke, die seine Leute bei der Stange hielten. Alles nur Schein und Trug, nichts davon echt und wahr. Es gab nur einen Kalahar, einen Verwachsenen. Darum war Coroman Hassif so groß geraten, darum so stark. Er sollte darstellen, was Kalahar nicht vorweisen konnte: kraftvolle Männlichkeit, Größe, Stärke. Nur Elendswerk war der ganze Coroman Hassif.
    »Ich konnte nicht anders«, sagte Kalahar schluchzend. »Sie haben mich gehasst, alle haben sie mich gehasst, verspottet und verachtet. Ich konnte nur eines: Trugbilder erzeugen, meine Feinde in Angst und Schrecken versetzen. Und das habe ich getan. Mir hätten sie nie gehorcht, die Coromanen, also musste ich jemanden erfinden, der so aussah, wie sie ihn als Führer brauchten.«
    Genau das war es, was Mythor stutzig gemacht hatte.
    Coroman Hassif hatte ihm ein wenig zu sehr nach wildem Räuberhauptmann ausgesehen. Um eine Winzigkeit zu echt ausgefallen war das Bild gewesen, das Kalahar geschaffen hatte.
    »Wie hast du die Sache entdeckt?« fragte Kalahar. Von unten her, vom schäbigen Lederkissen herauf, sah er Mythor zaghaft an.
    »Der Mann, den du mit der Peitsche gezüchtigt hast, der die Schlinge schon um den Hals hatte«, erinnerte Mythor, während er Kalahars schäbige Kammer betrachtete. »Er hatte keine Strieme am Hals. Die aber hätte er haben müssen, wäre der Schwung deiner Geißel echt gewesen. Dreinschlagen kannst du damit, aber einen Mann damit einfangen und heranziehen, das kannst du nicht.«
    »Es stimmt«, murmelte Kalahar.
    Mythor verschwieg ihm, was ihm den letzten Beweis geliefert hatte: der Helm der Gerechten. An ihm war Kalahars Täuschungsspiel wirkungslos abgeprallt.
    »Du wirst mich nicht verraten, nicht wahr?«

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