Mythor - 043 - Am Kreuzweg der Lichtwelt
eindringen.« Er schlug den Eingang des großen Zeltes zurück und verschwand im Innern, gefolgt von den anderen.
*
Ein spitzer Schrei war das erste, was Mythor vernahm. Er sah eine junge Frau, die diesen Schrei von sich gegeben hatte. Immerhin eine verständliche Reaktion, wenn man vier Männer ungestüm und ungebeten hereinkommen sieht, aber in diesem Moment war die Reaktion mehr als unerwünscht, Mythor hielt ihr den Mund zu und hatte Augenblicke später genug zu tun, ihre kratzenden Fingernägel und Tritte gegen die Schienbeine abzuwehren. Als sie damit nicht durchkam, biss sie ihn in die Hand.
»Bei Quyl«, stieß Mythor hervor. »Hör auf, zu schreien und zu strampeln, wir wollen doch gar nichts von dir!« Er ließ sie los und gab Sadagar einen Wink. Der Steinmann huschte zum Zelteingang zurück und lugte durch den schmalen Spalt.
»Was… was wollt ihr, und wer seid ihr?« stieß die Frau mit großen Augen hervor. Sie war jung und hübsch, und ihre Schönheit wurde lediglich von einem schmalen Tuch verdeckt, das sie sich um die Hüften schlang und hastig verknotete. Mit raschem Blick erkannte Mythor einen kleinen Spiegel und diverse Tiegelchen und Töpfchen mit Schminksalben und Duftwässerchen. Offenbar war sie damit beschäftigt gewesen, sich äußerlich noch weiter zu verschönern; ein Unterfangen, wie Mythor fand, das mehr als überflüssig war. Sie wich bis in den hintersten Winkel des Zeltes zurück und verschränkte die Arme.
Mythor setzte sich auf einen Schemel. »Verzeih unser Eindringen«, sagte er. »Wir wollen nichts von dir und werden gleich wieder verschwinden, ohne etwas zu rauben oder dir Gewalt anzutun. Aber wenn jene, die uns verfolgen, uns hier entdecken, kann es sein, dass so etwas geschieht.«
Die Frau schluckte heftig.
No-Ango musterte sie und lächelte freundlich; der weiße Streifen, der sich durch sein Gesicht und über seinen Schädel zog, verlieh diesem Lächeln einen verfälschenden Ausdruck. Larashi keuchte kurzatmig und sah auf seine Schuhspitzen. Sadagar stand lauernd am Zelteingang und hielt nach den Verfolgern Ausschau. Offenbar war noch keiner von Jassams Männern in Sicht. Aber das konnte sich rasch ändern.
Das Zelt war in der Mitte durchgeteilt. Mythor machte eine deutende Kopfbewegung auf die andere Hälfte. »Du bist allein?« fragte er.
»Nein… ja!« sagte die Frau. »Aber mein Vater kann jederzeit zurückkehren. Er ist auf den Markt der Bräute gegangen, um zu schauen, wie das Angebot heute ist.«
Mythor hob die Brauen.
»Dreht euch einen Augenblick um«, verlangte die Frau, allmählich sicherer werdend, weil ihr niemand etwas tat, außerdem strahlte Mythor irgendwie Beruhigung und Vertrauen aus. Sie glaubte nicht, dass er log.
Schmunzelnd wandte der Krieger sich um und fasste auch No-Ango und Larashi an den Schultern, um sie kehrtmachen zu lassen. Er hörte dünne Stoffe rascheln, und als die Frau ihnen erlaubte, sie wieder anzusehen, trug sie eine helle Seidenbluse und einen kurzen Rock, der sehr viel von ihren schlanken Beinen zeigte.
»Einer taucht auf«, sagte Sadagar leise.
Sie schwiegen und warteten ab. No-Angos Hand verschwand unter seinem Umhang, um nach der Pfeilschleuder zu greifen. »Er geht vorbei. Er hat wohl nichts bemerkt«, sagte der Steinmann nach einer Weile.
Die Männer entspannten sich; irgendwie musste die Spannung auch auf die junge Frau mit dem geflochtenen schwarzen Haar übergegriffen haben, denn jetzt ließ sie ihre Schultern leicht sinken.
Sadagar wandte sich vom Zelteingang ab und ließ sich neben Mythor nieder. »Ich denke, wir warten noch ein wenig und verschwinden dann wieder, wenn die Luft endgültig rein ist. Sie werden sich geteilt haben und kämmen jetzt den Markt nach uns ab.«
In diesem Augenblick wurde der Eingang geöffnet. Ein hünenhafter Mann, fast zwei Köpfe größer als Mythor, trat ein. Und augenblicklich fuhr seine Hand zum Schwert, als er die vier Männer erblickte.
Mythor sprang auf, wich ein paar Schritte zurück und streckte seine leeren Handflächen gegen den Eintretenden aus. Er hätte es sich wohl zugetraut, es mit dem größeren und vielleicht stärkeren Mann aufzunehmen, aber warum sollte er sich einen weiteren Feind machen? Der Feinde hatte er genug unter den Kämpfern der Schattenzone, außerdem flößte ihm der Mut des Mannes, gegen vier Fremde zugleich die Klinge zu ziehen, einigen Respekt ein.
»Warte, guter Mann«, sagte er hastig.
»Vater!« schrie die Frau im gleichen Augenblick
Weitere Kostenlose Bücher