Mythor - 123 - Duell der Steinmänner
anderen Winkel erscholl das Krächzen eines Raben. Nur von Menschen war nichts zu sehen; Loonkamp war früher einmal eine recht große Stadt gewesen, sie mußte für mindestens tausend Menschen Platz geboten haben. In der Mitte des Stadtgebiets hatte es einen Turm gegeben – er machte als einziger einen weitgehend unzerstörten Eindruck. Ein klobiges Gebäude im Grundriß, war es mit Erkern und Giebeln, Säulen und anderem Zierrat versehen worden und hatte so eine fast spielerische Note bekommen. Unwillkürlich marschierte Sadagar auf diesen Turm zu.
Sie stand am Fuß des Turmes.
»Du hast dir Zeit gelassen«, sagte Aeda. Sie hatte ihr Gesicht freigemacht.
»Der Weg war ziemlich weit«, antwortete Sadagar. Er band den Tokuan an einem Ring fest, der in den Fels eingelassen war. »Du bist schöner geworden seither.«
Aeda lächelte sanft.
»Mehr als zehn Jahre Wanderschaft bekommen keiner Frau gut«, antwortete sie. »Wie ist es dir ergangen?«
»Wechselhaft«, gab Sadagar zurück. Er sah Aeda an.
Die Frau erwiderte den Blick.
»Du wußtest, daß ich komme?«
»Meine Späher haben mir davon berichtet. Und ich wußte, daß nur du es sein konntest.«
»Oder ein anderer«, ergänzte Sadagar. »Ein ganz bestimmter anderer.«
Aeda lächelte.
»Ich weiß«, sagte sie. »Noch immer soviel Feindschaft?«
»Es gibt Dinge, die man gern mit seinen Freunden teilt, und es gibt Dinge, um die man selbst mit einem Freund kämpfen muß, wenn es nicht anders geht.«
»Mehr als zehn Jahre haben nichts verändert?«
Sadagar blickte Aeda in die Augen.
»Nimm den nächsten Tümpel und blicke hinein«, sagte er einfach. »Was hätte sich ändern sollen? Du bist Aeda, du wirst Aeda bleiben.«
Die Frau stieß einen Seufzer aus.
»Ich dachte, die Zeit heilt alle Wunden?«
»Erinnerung hält sie frisch, Sehnsucht reißt sie weiter auf. Du hast mir sehr gefehlt.«
Sadagar nestelte das Amulett von seinem Hals.
»Ich habe es dir damals geschenkt, du hast es nicht annehmen wollen. Nimm es jetzt.«
»Wirf es weg!«
Sadagar wandte den Kopf.
Seine Züge veränderten blitzartig ihren Ausdruck. Einen Herzschlag lang, mehr nicht, vergrößerte sich das Auge, zeigte das Gesicht alle Zeichen einer freudigen Überraschtheit, dann wurden die Pupillen klein, Sadagar hob die Oberlippe ein wenig an, zeigte die Zähne. Der Ausdruck eines alles verzehrenden Hasses schwand ebenso schnell wie der der Freude. Sadagar machte ein gleichgültiges Gesicht.
»Sieh an«, sagte er. »Dich hätte ich hier nicht erwartet.«
»Wieso?« fragte Necron. Sein Gesicht drückte eine Zuversicht aus, die Sadagar innerlich rasen ließ.
»Ich bin hier genau am richtigen Platz«, fuhr Necron fort.
Sadagars Blick wechselte rasch von Necron zu Aeda. Deren Gesicht zeigte betroffene Ratlosigkeit. Sadagar deutete ein Lächeln an.
»Es geht also genau da weiter, wo wir aufgehört haben«, stellte er fest. »Nach zehn Jahren und etlichen Hekatomben von Tagesreisen. Es wäre zum Lachen, wäre es nicht tödlich ernst.«
Er fixierte Necron, der die letzten Worte genau so verstanden hatte, wie Sadagar sie gemeint hatte. Der alte Streit brach wieder auf, die Flammen der Leidenschaft schlugen höher denn je, genährt durch langes Warten und hoffnungsschwangere Sehnsucht vieler Jahre.
»Ich kenne Landstriche, in denen die Männer entscheiden, welches Weib sie wählen«, sagte Sadagar kalt. »In Vangas Gefilden sind es die Frauen, die die Entscheidung treffen – mitunter das einzig brauchbare Verfahren, um zu einer Lösung zu kommen.«
Die beiden Männer sahen Aeda an. Sie stieß einen langen Seufzer aus.
»Narren«, murmelte sie. »Und das nach zehn Jahren.«
»Um so dringender wird deine Entscheidung«, bemerkte Necron. »Das Leben währt nicht ewig – bei manch einem ist es fast schon vorüber.«
»Die Frechheit deiner Knabenjahre hast du noch nicht eingebüßt«, sagte Sadagar. »Woher auch, sie liegen ja nur kurze Zeit zurück.«
»Daß du dich daran noch erinnern kannst – in deinem Alter.«
»Hört auf, euch zu zanken«, versuchte Aeda zu schlichten. »Ihr führt euch töricht auf.«
»Sollen wir abermals durch alle Gegenden der Welt streifen, bis du dich entschieden hast?« fragte Sadagar.
»Darf ich dich daran erinnern – sie hat sich entschieden«, sagte Necron. »Und zwar für mich – du hast dich mir versprochen, Aeda.«
»Ja, aber…«
»Den Text kenne ich«, murmelte Necron. »Was ist an diesem Nykerier, daß du zu keiner Entscheidung fähig
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