Mythos Übergewicht: Warum dicke Menschen länger leben. Was das Gewicht mit Stress zu tun hat - überraschende Erkenntnisse der Hirnforschung (German Edition)
Ausdruck der Strategie des Gehirns ist, die Stressantworten im menschlichen Organismus zu dämpfen und trotzdem die zerebrale Energieversorgung zu sichern. Das habe ich bereits ausführlich erklärt.
Anhäufung von innerem Bauchfett: Dieses beim A-Typus besonders ausgeprägte Merkmal wurde bereits im Kapitel »Was ist passiert, wenn schlanke Menschen einen Bauch bekommen?« beleuchtet. Verantwortlich ist das viszerale Fett des Bauchraums, das vom dauergestressten Gehirn als eine Art eigener Energiespeicher im Körper angelegt wird. Interessant ist, dass an diesem Punkt bei den Internisten und in der Herzmedizin bereits ein Umdenken stattgefunden hat. Statt – wie bisher – den BMI , also den Körperumfang, als Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen heranzuziehen, gehen schon viele Ärzte dazu über, den Taillenumfang des Patienten zu messen.
Verkürzte Lebenserwartung und Unfruchtbarkeit: In der Erforschung von Tierpopulationen sind diese beiden Faktoren von größter Bedeutung. Mit ihnen bemessen Biologen die »biologische Fitness« eines Lebewesens oder einer Art. Möglichst lange zu leben und viele Nachkommen zu zeugen, gelten im Tierreich als wichtige Merkmale der Vitalität. Beim Menschen spielen hier natürlich zusätzlich eine Reihe kultureller und gesellschaftlicher Faktoren eine Rolle, so dass hier die Zusammenhänge differenzierter betrachtet werden müssen. Interessant ist in dem Zusammenhang aber, dass die Medizin bisher in beiden Punkten dicke Menschen im Nachteil sah. Doch das stellt keine gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis dar, sondern ist eine voreilige Interpretation von medizinischen Datensätzen. Schließt man allerdings die neuen Originaldaten der Stressforschung in die Interpretation mit ein, so ergibt sich in diesem größeren Zusammenhang ein völlig anderes Bild: Ein hochaktives Stresssystem – wie bei dünnen Menschen des Stresstyps A – wirkt sich durch die Langzeitnebeneffekte des Cortisols verkürzend auf die Lebenserwartung aus (Näheres dazu im Kapitel »Leben dicke Menschen länger?«). Außerdem erklärt der Zusammenhang zwischen der Fähigkeit, sich an Stress anzupassen (Stresshabituation), und Sterblichkeit, warum dicke Menschen (starke Stresshabituation) mit schweren Krankheitsbildern wie Nierenversagen, Herzinfarkten, Diabetes etc. länger leben als dünne (schwache Stresshabituation) mit der gleichen Krankheit. Das Phänomen ist schon seit vielen Jahren in der Medizin bekannt, aber lange Zeit haben Kliniker und Forscher diese Beobachtungen als Spezialfälle abgetan, denen man nur auf Intensivstationen begegnet. Bis kürzlich die zwei schon erwähnten Beobachtungsstudien aus Mauritius und Dänemark unter der besonderen Berücksichtigung des inneren Bauchfettes zeigten, dass auch in großen Kohorten mit jüngeren Menschen der Allgemeinbevölkerung ein höherer BMI ein niedrigeres Sterblichkeitsrisiko anzeigte.
Spätestens jetzt – mit Erscheinen dieser neuen Studien – wurde klar, dass es sich hier um eine fundamentale Beobachtung handelt: Ein höherer BMI gibt eine günstige Prognose für ein langes Leben.
Das bestätigt jetzt eine große Untersuchung in der englischen und schottischen Bevölkerung, die deutlich aufzeigt, dass ein hoher BMI für sich genommen kein ungünstiger Risikofaktor ist. In dieser Studie wurden metabolisch gesunde Menschen mit einem »normalen« BMI mit metabolisch gesunden Menschen und einem hohen BMI verglichen. Die Forscher verstanden unter »metabolisch gesund«, dass kein vermehrtes Bauchfett vorlag, ebensowenig ein hoher Blutdruck, Blutzucker oder erhöhte Blutfette. Die »metabolisch gesunden« dicken Menschen hatten in dem sieben jährigen Beobachtungszeitraum gleich gute Überlebenschancen wie die schlanken Personen. Bei dieser Untergruppe der dicken Menschen war die Habituationsschutzstrategie gegen die schädlichen Stresseffekte 100 -prozentig wirksam. Damit wurde klar die neue Sichtweise bestätigt: Dicksein an sich ist nicht ungesund.
Was die Fruchtbarkeit betrifft, so treten erste Zweifel an der Sichtweise auf, dass dicke Mensch hier im Nachteil seien, wenn man sich demografische Statistiken im internationalen Vergleich ansieht. Hier wird deutlich, dass Dicksein nicht mit niedrigeren, sondern mit hohen »Fruchtbarkeitsraten« einhergeht: So weisen Länder mit den höchsten Anteilen starkgewichtiger Frauen in der Bevölkerung deutlich höhere Geburtenraten auf als Länder, in denen die Mehrzahl der Frauen eher dünn ist.
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