Nach alter Sitte
war der Tag noch sehr sonnig geworden. Lorenz sog die frische Luft tief in die Lungen. In der Eifel waren die klaren Nächte auch im Sommer kühl. Ob das auch anderswo so war? Er konnte es nicht sagen, war viel zu selten unterwegs gewesen. Anders als Gustav, der Weltenbummler. Südamerika, Afrika. Das wäre für Lorenz nichts gewesen. Er war mit Maria immer da glücklich gewesen, wo sie beide aufgewachsen waren. Lorenz aß bei geöffnetem Fenster das Brötchen auf, dann legte er sich wieder ins Bett. Er zog die Decke bis ans Kinn, um sich nicht zu erkälten.
7. Kapitel
Die ersten Sonnenstrahlen wurden begleitet von einem vielstimmigen Vogelkonzert. Lorenz erwachte aus einem tiefen, traumlosen Schlaf. Er spürte sofort, dass sich etwas verändert hatte. Und er überließ es Kommissar Wollbrand, diese Veränderung in Worte zu fassen: »Der alte Ermittler hatte bis zu diesem Morgen die falschen Fragen gestellt. Es ging nicht darum, wer ihm warum etwas antun wollte, wer die Schuld an irgendetwas trug. Die richtigen Fragen waren: Wie konnte er den Übeltäter fassen? Warum meldete dieser sich gerade jetzt? Womit wird er sich oder womit hatte er sich vielleicht sogar bereits verraten?«
»Kinder, ich habe schon zweimal gefrühstückt, bis ihr endlich den Weg zum Futter findet«, grinste Lorenz, als Bärbel und Gustav an seinen Frühstückstisch traten. Gustav grinste zurück, als er sich seinem Freund gegenüber hinsetzte: »Zwei Tage war der Lorenz krank, jetzt mault er wieder – Gott sei Dank.«
Bärbel ergänzte: »Wir sind froh, dich wieder in unserer Mitte zu haben, wollte Gustav dir damit sagen.«
»Schon gut«, meinte Lorenz. »Ich musste mich einfach mal verkriechen.«
»Hat es mit dem Gemälde zu tun?«, fragte Gustav. »Bärbel hat mir alles erzählt. Bin sehr gespannt, dieses ominöse Bild zu sehen.«
»Ich werde es wie versprochen morgen nach Düsseldorf bringen, um es gründlich untersuchen zu lassen. Mein Kollege Justus hat sich auf meine MMS hin gemeldet. Er will das Werk unbedingt analysieren. Vielleicht bekommen wir so mehr heraus – vielleicht sogar, wer es gemalt hat«, sagte Bärbel.
»Das ist wirklich eine gute Idee«, antwortete Lorenz. »Ich habe mittlerweile noch mehr Indizien dafür, dass wir es mit einem wahrhaft kriminellen Element zu tun haben.«
»Oh nein«, stöhnte Bärbel.
»Oh ja«, grinste Gustav. »Erzähl uns mehr!«
»Wie ihr ja schon wisst, hat es mich getroffen, dass auf dem Bild nicht nur mein Konterfei, sondern auch das meiner – verschollenen Tochter Gerda zu sehen ist. Nun habe ich, und das hat mich alten Hund fast geknackt, eine elektronische Post erhalten, die ebenfalls mit Gerda zu tun hat und vermutlich von demjenigen stammt, der sie auf dem Gewissen hat.«
»Du Armer«, sagte Bärbel und legte ihre Hand auf die seine. »Das ist ja schrecklich!«
»Das kann einen schon umhauen«, stimmte Gustav zu. »Ekelhaft.«
Lorenz nickte. »Das trifft es. Es ist ekelhaft. Der Text ist das Eingeständnis, meiner Tochter etwas angetan zu haben, und eine Drohung für mich selbst.«
»Jemand trachtet dir nun nach dem Leben?« Bärbel war entsetzt.
»Es scheint so.« Lorenz wirkte sehr ruhig. »Und dieser Jemand weiß, welches Projekt meine Tochter und ich teilten, bevor sie für immer spurlos verschwand.«
»Was war das für eine Sache?«, wollte Gustav wissen.
»Gerda studierte Kunstgeschichte und Archäologie, war geradezu besessen von der Frühgeschichte der Nordeifel. Es war unser Traum, das Schlachtfeld des Ambiorix im Rurtal zu lokalisieren.«
»Wer?«, fragte Bärbel.
»Was?«, fragte Gustav.
»Ambiorix, ihr Unwissenden«, brummte Lorenz. »Er war ein Häuptling der Eburonen, ein Freiheitskämpfer gegen die römische Besatzungsmacht. Er fügte Julius Caesar die schmerzhafteste Niederlage im Gallischen Krieg zu. Das Volk der Eburonen, sozusagen die keltischen Ureinwohner unserer Nordeifel, wurde jedoch in der Folge vom rachsüchtigen Julius völlig ausgerottet. Ambiorix verschwand spurlos. Er wird in Belgien heute noch als Nationalheld verehrt, hier bei uns ist er dagegen fast völlig unbekannt. Und dabei spricht alles dafür, dass er hier im Rurtal, ich vermute bei Abenden und Blens, auf einen Schlag an die zehntausend Römer niedergemacht hat. Mittels einer Taktik, die rund sechzig Jahre später Arminius gegen Varus angewandt hat.«
»Das ist aber spannend«, meinte Bärbel staunend. »Da müsste man doch wissen, wo das war!«
»Müsste man, tut man aber
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