Nach alter Sitte
nicht«, antwortete Lorenz. »So ein Schlachtfeld ist nach zweitausend Jahren nicht leicht zu finden. Das ist eine verdammt lange Zeit. Die sogenannte Schlacht im Teutoburger Wald wurde ja auch erst nach vielen Jahren intensiver Suche bei Kalkriese nachgewiesen. Und hier waren das Interesse und der betriebene Suchaufwand bis dato nicht annähernd so groß. Zudem hat die hiesige intensive Landwirtschaft den Boden seitdem zigfach umgestaltet. Vermute mal, die römischen Jungs waren guter Dünger, hihi.«
»Und was hat das nun mit dem Drohbrief zu tun?«, fragte Gustav.
Lorenz wurde sofort wieder ernst. »Diese Email erwähnt Ambiorix und vergleicht dessen Verschwinden mit dem meiner Tochter. Das kann kein Zufall sein. Der Absender dieser Nachricht weiß um unser Steckenpferd, das wir damals teilten, und es wird sicherlich auch irgendwie mit diesem Bild zu tun haben.«
»Klar, da ist ein Zufall ausgeschlossen«, stimmte Bärbel zu. »Aber dann haben wir es doch mit einem bösen Menschen, mit einem Mörder, zu tun. Du musst sofort mit Rita sprechen!«
»Nee, lass die Kripo da mal schön raus«, meinte Lorenz. »Momentan haben wir weder ein Verbrechen noch einen Täter. Deine Idee, das Bild genau zu untersuchen, ist doch schon mal gut. Und ich habe große Lust, noch heute die Suche nach dem Schlachtfeld des Ambiorix wieder aufzunehmen. Viel zu lange habe ich dies versäumt.«
»Aber ich habe uns zum Boccia-Turnier angemeldet, das gleich nach dem Frühstück beginnt«, sagte Bärbel.
Gustav und Lorenz sahen sich kurz an und begannen dann schallend zu lachen.
Bärbel wurde rot und meinte: »Ist ja schon gut, habe verstanden. Die hohen Herren haben nichts übrig für die albernen Animationen der hiesigen Anstalt und halten mich wieder einmal für das dumme Liebchen.«
»Aber nein, meine liebe Bärbel«, sagte Lorenz. »Nur ein bisschen zu lieb vielleicht, dumm jedoch keinesfalls, so viel ist sicher.«
Nur wenig später saßen sie auf Rädern und rollten die steile Straße von Nideggen nach Abenden hinab.
»So lass ich mir das Radfahren gefallen«, jubelte Lorenz.
»Aber denk dran«, rief Gustav zurück, »dass wir denselben Höhenunterschied beim Rückweg auch wieder werden bewältigen müssen, nur in umgekehrter Richtung. Da kann dir dein Asterix auch nicht helfen!«
»Ambiorix, du Banause!«, rief Lorenz vergnügt zurück. »Und den würde ich auch nicht um Hilfe bitten. Allerdings hat sich Benny angeboten, uns mit dem großen Lieferwagen abzuholen. Das ist besser als der Zaubertrank der unbesiegbaren Gallier.«
»Oh, du fauler Lump!«, rief Bärbel lachend. »Du bekommst dafür nur die halbe Ration vom Picknick.« Sie hatte natürlich wieder die Küche geplündert und für unterwegs reichlich Proviant in ihrem Rucksack verstaut. Lorenz wusste, dass sie es nicht übers Herz bringen würde, ihm eine Leckerei vorzuenthalten, und ließ sein Rad vergnügt laufen. Doch da er nicht der sicherste Radfahrer unter der Eifelsonne war, übte er sich auch in Vorsicht. Bald musste er so häufig die Bremse benutzen, dass ihm die Finger erlahmten, denn das Gefälle war erheblich. Die Rur hatte ein tiefes Tal geschnitten. Lorenz sah vor seinem geistigen Auge eine kilometerlange Schlange von Schwert und Speer tragenden Legionären, die sich durch den keltischen, oder wie die Römer es nannten, gallischen Urwald wand und dabei dieses ständige Auf und Ab der steilen Hänge um Rur oder Kall zu bewältigen hatte. Hier hatten sich bis in die Neuzeit hinein alle fremden Soldaten schwergetan und einen hohen Wegzoll zahlen müssen. Die Römer unter Julius Caesar, die Alemannen und Franken, die Kölner Erzbischöfe des Mittelalters, die Amerikaner im Zweiten Weltkrieg, sie alle hatten in der Eifel geblutet.
Lorenz war froh, als sie die steile Serpentine hinter sich gelassen hatten und die Straße flacher wurde. Diese Freude hielt allerdings nicht lange an, denn danach fuhren sie auf einer langen Geraden, die eine kaum sichtbare, aber auf Dauer umso spürbarere Steigung aufwies. Bald spürte der Alte, wie die Beine zu schmerzen begannen und die Luft knapp wurde. Er beschloss, sich die Blöße zu geben, hielt an und stieg ab.
»Puh«, kommentierte Gustav. »Noch hundert Meter weiter, und ich hätte als Erster aufgeben müssen. Ich kenne diese Straße seit so vielen Jahren, aber erst heute fällt mir auf, dass es hier ständig aufwärts führt.«
»Ich kenne das Stück auch nur als Autofahrer«, gestand Lorenz. »Ganz früher sind wir
Weitere Kostenlose Bücher