Nach alter Sitte
zum Gästehaus lag im Dunkeln. So merkte sie erst, als sie den Schlüssel im Schloss drehte und etwas Druck auf die Tür ausübte, dass diese einen Spalt offen stand. Die Bewegung aus dem Dunkel des dahinterliegenden Ganges nahm sie viel zu spät wahr. Bevor sie etwas sehen oder gar richtig reagieren konnte, fühlte sie, wie ihr ein widerlich süß riechendes Tuch aufs Gesicht gedrückt wurde. Vera erinnerte sich an ihr Capoeira-Training und versuchte, eine Beinschere gegen den unsichtbaren Angreifer anzusetzen. Doch ihr schwanden bereits die Sinne, und aus der angedachten Bewegung wurde nur ein hilfloses Torkeln. Sie spürte noch, wie sie zu Boden fiel, ihr dieser stinkende Lappen noch heftiger gegen Mund und Nase gedrückt wurde, dann stürzte sie endgültig in den schwarzen Tunnel tiefer Bewusstlosigkeit.
Lange hatte er gewartet. Wusste genau, was sie tun würde. Er hatte Zeit. Nicht beliebig viel Zeit, aber deutlich mehr, als ihr noch bleiben würde. Doch das wusste nur er. Diese jungen Dinger. Waren nur stark in der Illusion ihrer Unsinkbarkeit, ihrer scheinbaren Unsterblichkeit. Er hatte es immer schon besser gewusst. Jetzt lag sie da, atmete flach und schnell im Halothan-Traum. Er packte sie unter den Armen und schleppte sie davon. Hier konnte er sie nicht bearbeiten. Die Kleine war schwerer als vermutet. Es dauerte eine Weile, bis er sie da hatte, wo er sie haben wollte. Er tränkte das Tuch erneut mit Halothan und drückte es ihr aufs Gesicht. Lange und sorgfältig. Dann entfernte er ihre Kleidung. Viel hat sie ja nicht an, die kleine Schlampe, dachte er. Als sie nackt vor ihm lag, hatte er den Impuls, sie zu berühren, ihren frischen, gerade der Jugendlichkeit entwachsenen, makellosen Körper zu streicheln. Doch dann schüttelte er sich unwillig. Sie hatte sich eben erst benutzen lassen. Er hatte es gesehen. Nein, er begehrte dieses Hürchen ohnehin nicht. Es war nun an ihm, sie zu bestrafen. Ein Grund mehr, sofort zu handeln.
Alles lag bereit. Er hatte improvisieren und schnell entscheiden müssen. Dass nun alles so perfekt passte, erfüllte ihn mit großer Befriedigung. Damit nun auch die Ausführung dem Plan zur Ehre gereichte, zwang er sich zu größtmöglicher Konzentration. Die Schmerzen meldeten sich wieder. Warum musste dieses kleine Biest auch so schwer sein? Doch das musste jetzt ignoriert werden. Er öffnete den großen Honigtopf und begann, ihren Körper einzuschmieren. Es fühlte sich seltsam an mit den Einweghandschuhen, glatt und ölig. Sorgfältig achtete er darauf, dass kein Fleckchen unbedeckt blieb. Die langen Haare benötigten besonders viel Honig. Zum Schluss füllte er Mund und Nase, klebte den vorbereiteten Zettel auf ihre Lippen und umwickelte dann den Kopf mit Frischhaltefolie.
Zufrieden betrachtete er sein Werk und atmete tief durch. Der schwierigere Teil lag noch vor ihm. Aber die Nacht war noch lang.
20. Kapitel
Lorenz fragte sich, die wievielte schlaflose Nacht dies nun in diesem verdammten Sommer war. Wenn es heiß, schwül und stickig gewesen wäre, hätte er sich sagen können, dass es an der Luft lag. Doch die war klar und angenehm kühl. Lorenz sah aus dem Fenster und murmelte: »Der Alte musste sich nichts vormachen. Die Geschehnisse zerrten an seinen Nerven.«
Er versuchte, sich auf die Frage zu konzentrieren, wer den alten Naas so brutal ermordet hatte, und was er selbst, Opa Bertold, damit zu tun hatte. Natürlich lag es nah, dass die Suche nach Ambiorix das verbindende Glied war. Aber welche Teile der Kette wurden damit verbunden? Warum musste Naas sterben? Und was war mit Gerda geschehen? Und letztlich war es diese Frage, die den Alten mehr als alles andere beschäftigte. Er musste sich eingestehen, dass er den Tod seiner Tochter nie wirklich akzeptiert hatte. Wie auch, da sie spurlos verschwunden geblieben war? Und nun? Lorenz spürte, dass Gerda nicht mehr am Leben war. Er konnte es nicht erklären, aber die Vorstellung, sie könnte heute so aussehen wie auf dem ominösen Bild, passte nicht. Es fühlte sich falsch an. Gelogen. Aber wenn er ehrlich war, gab es nichts, was dieses Gefühl rechtfertigte.
Stephan. Er musste ihn anrufen, sich ihm endlich öffnen. Doch das fiel ihm immer nur nachts um drei ein, niemals zu einer Zeit, in der er ihn tatsächlich ansprechen könnte. Gern wäre er jetzt zu Gustav gegangen und hätte sich von ihm einen frischen Kaffee aufbrühen lassen. Er wusste ja, dass der Alte auch selten eine Nacht durchschlief. Aber nun musste
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