Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition)
Schultern.
»Vielleicht wollte er noch ein letztes Gedicht schreiben? Eine Art Abschiedsgruß?«
Der Wirt stampfte mit den Füßen auf. »Kann ick jetzt?«
»Ja, Sie können jetzt!«
Bernhardt spürte, wie in ihm ein Widerwille gegen den Wirt aufstieg. Jetzt bloß keinen Jähzornsausbruch. Der Wirt stapfte davon, setzte sich auf ein Schneemobil und knatterte zur Insel. Schaute Cellarius jetzt ein bisschen beleidigt, weil Bernhardt sich als Chef aufgespielt hatte?
»Sag einfach, wie’s weiterging.«
»Heute Morgen sind ein paar Leute vor Lindwerder Schlittschuh gelaufen, die haben etwas aus dem Wasser ragen sehen, die Hand von Hirschmann, und haben die Polizei alarmiert. Und dann wurde er mit einer Kettensäge aus dem Eis geschnitten, war wohl ’ne ziemlich schwierige Sache.«
»Und gibt’s denn schon Erkenntnisse?«
Dr. Holzinger, der vom Aufenthalt in der Kälte ganz blasse Lippen hatte, war zu ihnen getreten. Er sprach, als könnte er kaum noch den Mund aufkriegen.
»Schwer zu sagen. Er schaut absolut unverletzt aus, geradezu lebendig, habt ihr ja auch gesehen. Aber nichts Genaues weiß man nicht. Er ist in einem Loch gefunden worden, das sich wahrscheinlich Eisangler geschlagen hatten. Aber wenn’s nachts minus 20 Grad sind, friert das schnell zu, ist ja klar. Da ist er vielleicht in der Dämmerung reingefallen aus Unachtsamkeit, oder er ist reingestiegen, oder er ist reingestopft worden. Aber das sind alles erst mal Spekulationen, wir werden ihn auftauen und dann: business as usual. «
Dr. Holzinger schlurfte mit hochgezogenen Schultern davon. Die Tatortaufnahme war langsam erledigt. Nur Fröhlich von der Spurensicherung hatte noch zu tun. Er näherte sich und nahm Bernhardt ins Visier.
»Na, Meesta, hatten wa ooch noch nich. Obwohl ick mir erinnern kann –«
Bernhardt hatte keine Lust auf Fröhlichs Geschwafel. »Fröhlich, lass mich mal ausnahmsweise mit deinen Geschichten in Ruhe.«
Fröhlich schnappte ein, was sonst nicht seine Art war. Auf einen Spruch konnte er in der Regel immer noch einen draufsetzen.
»Vielleicht hättest du dann die Jüte, mir den Zettel zu übalassn, den euch der Wirt jejeben hat. Darf ick?«
Er nahm Bernhardt umstandslos den Zettel aus der Hand, drehte sich um und ging wieder an die Arbeit.
Cellarius nahm sie in seinem Super-Audi mit. Lässig steuerte er über die Schneedecke, surfte gekonnt durch langgezogene Kurven, ließ das Auto leicht ausbrechen und fing es wieder ab. »Da weiß man wirklich, warum man Vierradantrieb hat. Wunderbar.«
Bernhardt und Cornelia Karsunke schauten sich an. Cornelia fasste sich als Erste ein Herz. »Celli, selbst wenn du ein Schleudertraining mit Schumi gemacht haben solltest, ich würde ungern in tiefer Dunkelheit auf der Havelchaussee gegen einen Baum knallen und mein Leben aushauchen.«
Cellarius nahm’s sportlich. »Du brauchst wirklich keine Angst zu haben. Ich fahr euch jetzt ganz sicher über die Avus bis zum Bahnhof Charlottenburg. Da kommt ihr doch gut weg, oder?«
Er ließ sie an der Kaiser-Friedrich-Straße am russischen Supermarkt raus. Ein paar Gestalten lungerten im Laden herum, ein paar saßen an den Tischen, vor sich jeweils eine Wodkaflasche und Wassergläser.
»Da gehen wir nicht rein, oder?«
Cornelia lachte. »Wir gehen heute nirgendwo mehr rein. Ich muss nach Hause.«
Er nahm sie leicht an der Schulter und drehte sie zu sich hin. Zum ersten Mal an diesem Tag sah er sie richtig: die scharf geschnittene Nase, die gerötet war, die verhangenen Augen, die schmalen Lippen. Was war mit ihr?, fragte sich Bernhardt.
»Wir haben den ganzen Tag nicht richtig miteinander geredet.«
»Wir waren beruflich unterwegs.«
»Wir waren mal beruflich unterwegs, da waren wir an einem märkischen See bei großer Hitze… und haben Pause gemacht.«
Sie lächelte. Und plötzlich erkannte er sie wieder.
»Das war die schönste Pause meines Lebens.« Ihre Stimme hatte sich verändert, war leiser geworden, klang wieder wie früher, als sei sie in einem Traum gefangen.
»Und? Könnten wir nicht wieder mal Pause machen?«
»Das entscheidet man nicht selbst und nicht einfach so, das wird einem gegeben.«
»Seit wann bist du Esoterikerin? Meinst du denn, das wird uns noch mal gegeben?«
Sie schwieg. Dann zog sie ihren Handschuh aus und streichelte ihm mit ihrer eiskalten Hand über die Wange. »Ich weiß es nicht. Wir müssen in Ruhe reden, das habe ich dir doch schon gesagt.«
»Wir können zu mir gehen.«
»Nein,
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