Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition)
wurde es Bernhardt zu viel. »Entschuldigung, kann ich mal?« Gabi Kratochwil seufzte auf, der Trafikant nahm eine aggressive Verteidigungshaltung ein und schob Bernhardts Hand entschieden zurück. So was gibt es nicht, signalisierte seine Körpersprache. »Hören Sie nicht? Moment, hab ich gesagt!« Er steckte einen Teil der Hot -Ausgaben in einen Drehständer, den anderen fächerte er auf dem Verkaufstisch auf. Nun erst wandte er sich dem Piefke zu, als den er Bernhardt längst identifiziert hatte. »So!«
Bernhardt schaute Gabi Kratochwil etwas verdattert an, die ihn aufklärte. »Wir dürfen jetzt, heißt das.« Sie griffen sich beide eine Hot -Ausgabe, deren Schlagzeile auf der Titelseite in Riesenlettern lautete: Steiner: Das war’s aber jetzt. Sie blätterten schnell den mehrseitigen Bericht im Mittelteil der Zeitung auf. Der Trafikant fixierte sie: »Wir sind hier nicht bei der Caritas. Bei mir wird gezahlt!« Gabi Kratochwil legte demütig die Münzen in die ausgestreckte Hand.
Thomas Bernhardt überflog die zahlreichen Kurzartikel, in denen jeweils eine Verfehlung von Steiner dargestellt und teilweise mit Faksimiles von Rechnungen und geheimen Absprachen dokumentiert wurde. Da kam einiges zusammen, und wendete man die Gesetze eines geregelten Finanz- und Wirtschaftssystems an, müsste es für Steiner tatsächlich schon bald recht eng werden. Im Rahmen eines Joint-Venture-Unternehmens mit einem fernöstlichen Land war von Steiner ein Energie-Investmentfonds aufgelegt worden, der angeblich zur Geldwäsche von Mafia-Kapital gedient hatte, zugleich waren europaweit Politiker und Wirtschaftsleute mit Millionensummen »unterstützt« worden. Geldströme schwappten so lange hin und her, bis am Ende offensichtlich selbst die Beteiligten nicht mehr wussten, was genau passiert war.
Und in der Mitte des Netzwerks: der allgegenwärtige Hans-Günther Steiner, der alles steuerte, der immer neue Ideen hatte, der Firma auf Firma türmte und als Einziger, wie es in dem Artikel hieß, noch den Überblick behielt. Bernhardt hingegen hatte den Überblick längst verloren. Steiner hatte Gesellschaften gegründet, die, so wurde es dargestellt, nur eine einzige Aufgabe hatten: die Aktivitäten anderer Gesellschaften zu verschleiern. Steiner, der Jongleur und Manipulator…
Dieser Lebensroman eines Spekulanten sprach Bernhardts zynische Ader an. Ja und?, lautete seine Frage. Dieser Mann war »Unternehmer des Jahres«. In seinen diversen Beiräten, auch das war fein säuberlich aufgelistet, saßen abgehalfterte Politiker, Generaldirektoren a. D., ehemalige Vorstandsvorsitzende, die ihre satten Abfindungen von zig Millionen Euro auf ihren Ruhesitzen am Mittelmeer verzehrten, ein libanesischer Milliardär usw. usw.
Steiner. Das war’s aber jetzt, die Schlagzeile der Hot erschien Bernhardt nach diesem Lektüre-Flash reichlich optimistisch.
Gabi Kratochwil stieß Bernhardt an. »Haben Sie das gesehen?« Sie wies auf einen kleinen Kasten am Ende der Steiner-Story hin. So weit war Bernhardt noch gar nicht gekommen. Die ist ja erstaunlich schnell, konstatierte er nicht ohne leichte Bewunderung. Er las:
Zapft Steiner jetzt auch Berlin an?
Wie man weiß, gehört Berlin zum wilden Osten. Aber die Zeiten ändern sich: »Arm, aber sexy« war gestern. Seit kurzem fließt Geld in das ehemalige Subventionsparadies. Mit einem dänischen Konsortium, das auf Aruba in der Karibik residiert, mischt Steiner den Berliner Immobilienmarkt auf. Ganze Viertel in Kreuzberg und Neukölln gehören ihm angeblich schon. Immer wieder wurde er in den letzten Wochen in Berlin gesehen. Auch bei seiner ehemaligen Geliebten, der in unserer Stadt so schmerzlich vermissten Sophie Lechner, schaute er gelegentlich vorbei. Sein Ziel waren allerdings die recht rauhen Gegenden der Stadt. Hier will er Aufbauarbeit leisten. Doch erste Protestbewegungen formieren sich, Schlagwort: Gentrifizierung. Steiner hingegen spricht von einem kulturellen Projekt. Er wolle Glanz und Lebensqualität in die graue Stadt bringen.
Wir sind ihm unbemerkt über Wochen gefolgt. Wie ernst er seine Unternehmungen nimmt, wird daran deutlich, dass er seine Fahrten in seinem ultraschnellen Porsche, einer Spezialanfertigung mit 450 PS , möglichst geheim gehalten hat. Am Todestag von Sophie Lechner haben wir ihn aus den Augen verloren. Was an jenem Tag geschah, entzieht sich also unserer Kenntnis. Am gestrigen Tag wurde uns allerdings ein Foto von unbekannter Seite zugespielt.
Auf dem
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