Nach dem Sturm: Roman (German Edition)
zurück. »Wir waren mal in Venedig. Das war die größte Sache, die wir je unternommen haben. Sie mochte die Stadt sehr und nannte sie gern die Stadt der Flüsse, City of Rivers. Sie brauchte nur neun Sekunden, um sich den Namen auszudenken, als wir erfahren hatten, dass es ein Mädchen war.«
Sie schwiegen wieder. Nadine hatte das Fläschchen gefunden, und das Baby hörte auf zu schreien. Das Feuer knackte.
»Mariposa hat uns ein bisschen was über deine Sachen erzählt. Deshalb kam ich drauf«, sagte sie.
»Ist schon in Ordnung.«
»Und du hast immer noch in euerm Haus gewohnt?«
»Ja, hab ich.«
»Das ist ziemlich bemerkenswert.«
»Auch nicht bemerkenswerter als der ganze Scheiß hier«, sagte er und machte eine weit ausholende Handbewegung, die den Platz mit den festgezurrten Wohnwagen umfasste.
Kris streckte die Hand aus, und Cohen nahm sie, um ihr beim Aufstehen zu helfen. Sie war eine rundliche Person, das konnte man unter den ganzen Klamotten erkennen, die ihren dicker werdenden Bauch verhüllten. Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht, legte die Hände auf den Rücken und streckte sich. Dann ging sie zum Feuer.
Cohen zündete sich eine weitere Zigarette an.
Hinter ihm ging eine Tür auf, und Mariposa kam heraus. Sie hatte einen Schal um ihren Kopf geschlungen, um die Haare zurückzubinden, und blieb auf dem Betonblock vor ihrer Tür stehen. Dann setzte sie sich darauf.
»Geht’s dir gut?«, fragte sie.
»Im Moment ja«, sagte Kris. Sie drückte erneut den Rücken durch. Spähte in die Dunkelheit. »Er hat meinen Mann umgebracht«, sagte sie. »Irgendwo dort draußen. Ist einfach mit ihm losgegangen und hat ihn getötet, nachdem er uns zuvor weisgemacht hat, dass er uns zur Linie bringen würde. Wir sind hier unten hängen geblieben, als wir kamen, um ein paar von unseren Sachen zu holen. Es war eine dumme Idee, und das wussten wir auch, aber er hatte ein paar Traktoren, die einiges wert waren, und wir hätten wahrscheinlich gutes Geld gekriegt, wenn wir sie irgendwie dorthingeschafft hätten. Aber als wir hier unten ankamen, sind wir in einen schlimmen Sturm geraten. Er und Joe haben uns wie gute Samariter gerettet und hierhergebracht. Für mich genügte ein Blick, um zu wissen, dass etwas nicht stimmte. Ich hab’s Billy gesagt, aber der wollte nichts davon wissen. Ich hab ihm dreißig Sekunden, nachdem wir hier ankamen, gesagt, dass wir wegmüssen. Lass uns abhauen. Am nächsten Tag ist Aggie mit ihm losgegangen und hat ihn umgebracht. Und dann hat er mich mit den anderen zwei oder drei Frauen eingeschlossen. Dann haben sie noch mehr gefunden und mir dieses Ding gemacht.« Sie deutete auf ihren Bauch, beugte sich nach vorn, schlug die Hände vors Gesicht und begann zu weinen. Sie stampfte mit dem Fuß auf und weinte und sah aus, als würde sie gleich hinfallen. Cohen holte einen Stuhl, schob ihn ihr hin, und Mariposa kam dazu und half ihr, sich hinzusetzen. Sie traten zurück und sahen zu, wie sie weinte und weinte, und aus irgendeinem Grund, den er nicht verstand, fühlte er sich wie ein Dummkopf.
Er rauchte weiter, und Mariposa ging auf und ab.
Kris weinte noch ein bisschen, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, schluchzte und riss sich wieder zusammen.
»Was ist mit ihr?«, fragte Cohen und deutete auf den Wohnwagen, in dem Nadine verschwunden war.
»Ich weiß nicht viel von ihr. Sie war schon da, als ich kam. Du auch?«
Mariposa nickte.
»Sie ist wohl schon eine ganze Weile hier. Sie hat nie viel von sich erzählt. Einmal hab ich gesehen, wie sie auf Aggie losging, aber Joe hat dem gleich ein Ende gemacht. Ich glaube, das ist ein paar Male vorgekommen.«
»Mindestens ein paar Male«, sagte Mariposa.
»Weißt du was von den anderen, die weggefahren sind?«, fragte Cohen.
Kris schüttelte den Kopf. »Nicht sehr viel.«
»Ich auch nicht«, sagte Mariposa.
Cohen schnippte seine Zigarette weg. Einige Regentropfen platschten auf den Erdboden.
»Das hört nie mehr auf«, sagte Kris. Sie streckte ihre Hand nach Mariposa aus, und die zog sie aus dem Stuhl hoch. Der Regen wurde etwas stärker, während Mariposa sie zu ihrem Wohnwagen führte und ihr beim Einsteigen half.
Er trank noch ein Bier, zog dann eine der Pistolen aus der Tasche und stand auf. Ein bisschen betrunken. Er humpelte vom Feuer weg in die Dunkelheit zu dem Anhänger, an dem Aggie festgebunden war.
»Möchtest du leben oder sterben«, fragte Cohen ihn, aber er konnte seine Augen nicht erkennen und wusste
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