Nach der Hölle links (German Edition)
Erwartung gewesen, die ihn fesselte; nicht zuletzt bestärkt durch den Gedanken, dass er etwas Neues, Aufregendes wagte.
Fairerweise musste er zugeben, dass es an Köninger und Sascha lag, wenn er die herannahende Party als Herausforderung der lohnenden Art wahrnahm. Sie hatten ihn zu diesem Thema ordentlich beharkt und klangen, als hätten sie sich abgesprochen. Gerade die Gleichförmigkeit in ihren Argumenten machte sie glaubwürdig. Jeder für sich war nur eine Person, die ihm viel erzählen konnte. Zu zweit und unabhängig voneinander gewannen ihre Worte an Gewicht.
Seit seiner Zusage hatte ihm die Nervosität immer wieder die Eingeweide zerrissen. Im einen Augenblick fegte er im Hof des Tierheims das Laub zusammen, im nächsten dachte etwas in ihm: »Hör mal zu, du Idiot, ist dir eigentlich klar, was du da vorhast?«
Dann zählte die Angst ihm detailliert auf, was alles schiefgehen konnte – und eine Minute später brauchte er dringend eine Toilette, weil ihm der Magen in den Hals sprang.
Ein Dutzend Mal war er kurz davor gewesen, Sascha eine Familienkrise, einen verstauchten Fuß, eine Magen-Darm-Grippe, eine gesundheitliche Verschlechterung bei seiner Mutter oder eine plötzliche Weltreise vorzusetzen und sich aus der Affäre zu ziehen. Deutlich häufiger hatte er nachts auf der Terrasse gestanden, Richtung Hafen gestarrt und sich gefragt, welcher Irrsinn seine Zunge geführt hatte, als er die Einladung annahm.
Dabei wusste Andreas ganz genau, warum er zugesagt hatte. In dem Augenblick, in dem Sascha anfragte, ging es ihm gut. Die Überraschung war geglückt, und er hatte sich aufrichtig gefreut, eingeladen worden zu sein. Saschas Zureden hatte sein Übriges getan.
Der Einfluss, den der zurückgekehrte Freund auf ihn hatte, machte Andreas nervös. Sie hatten sich seit dem Umzug nicht getroffen, nur telefoniert. Nie lange, nie zu unmöglichen Zeiten. Doch Andreas mochte diese Gespräche, mochte es, wenn sein Telefon klingelte und Sascha dran war. War dankbar, dass er hier und heute nicht allein zu Brain ging, sondern dass sie sich vorher getroffen hatten.
Mit klopfendem Herzen betrachtete Andreas das biedere Einfamilienhaus, auf das sie sich zubewegten. Die Heerscharen rostiger Fahrräder in der gepflasterten Einfahrt passten nicht zu dem gepflegten Vorgarten und den von Hand bemalten Blumenkübeln neben der Tür.
Andreas hatte etwas gänzlich anderes erwartet. Ein abbruchreifes Haus, dessen Wände von innen und außen mit Airbrush verziert waren. Eine enge Studentenbude in einem Wohnheim. Eine düstere Souterrain-Wohnung, in deren Badezimmer man Ratten erwartete, die freundlich einen guten Tag wünschten.
»Hier wohnt Brain?«, fragte Andreas ungläubig. Ihre Schritte wurden von gleichmäßigem Klirren begleitet. Ihm brach der Schweiß aus, was nicht ausschließlich an der nur langsam weichenden Hitze des Tages lag.
Sascha grinste. »Ja. Sieht gar nicht nach ihm aus, oder?«
»Nein, wirklich nicht. Lebt er hier etwa allein? Ich meine, dann wird er sicher nicht studieren, oder?«
Kaum, dass der Satz über Andreas’ Lippen war, wunderte er sich über seine Worte. Weder studierte noch arbeitete er im eigentlichen Sinne – und trotzdem lebte er in einer Wohnung, deren Größe und Ausstattung jedem Immobilienmakler Dollarzeichen in die Augen trieb. Warum sollte es Brain anders gehen?
Sascha winkte ab. »Sein Studium hat er nach dem ersten Semester hingeschmissen. Das Haus gehört Brains Großmutter. Er wohnt nur in der Einliegerwohnung. Und nein, von seinem Gehalt könnte er sich die Bude sicher nicht leisten. Er jobbt in einem CD-Laden. Nebenher ist er angeblich an einer ganz großen Geschichte in Sachen Software dran. Will wohl das nächste Google erfinden oder so.«
Mit jedem Meter, den sie sich dem fremden Haus näherten, wurden Andreas’ Knie weicher. Das Gewicht des Bierkastens in seiner Hand war ein Anker, was nicht zuletzt daran lag, dass Sascha den anderen Griff hielt. Wenn man sich die Kiste zwischen ihnen wegdachte, hielt Sascha seine Hand. Andreas war nicht sicher, ob ihm der Gedanke gefiel.
Um nicht zu viel Zeit an aufkeimende Ängste zu verschwenden, fragte er schnell: »Und seine Großmutter hat nichts dagegen, dass er eine Party nach der anderen schmeißt? Stört sie das nicht?«
»Nicht, dass ich wüsste.« Saschas Schritt war ekelhaft beschwingt, und die Vorfreude quoll aus jedem seiner Worte. »Sie ist eine ziemlich unternehmungslustige Lady, sagt er. Gondelt viel in der
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