Nachhilfe in Erster Liebe
weil ich gar nichts erzählen kann, so stürzen auf einmal die Tränen aus mir heraus. Der Kakao und der Kuchen riechen aber auch so, dass ich mich sofort fühle wie früher als Kind. Früher, als alles noch gut und einfach war, als ich höchstens wegen einem aufgeschlagenen Knie geheult habe und mit einem leckeren Kakao von meiner Mama gar nichts mehr wehtat, als ich krank war und mich mit selbst gebackenem Kuchen von meiner Oma gleich ein bisschen besser fühlte, als es mir wegen einem Streit mit
meinem Bruder schlecht ging und mich mein Papa einfach in die Arme nahm und tröstete und alles war wieder gut.
So wie mich jetzt meine Oma in den Arm nimmt und einfach nur tröstend hält, während meine Tränen alles aus mir herausspülen, was mich die letzten Wochen so fertigmacht. Ich kann einfach nicht mehr. Und irgendwann kann ich dann auch nicht mehr heulen, weil wahrscheinlich gar keine Tränenflüssigkeit mehr in mir ist. Und meine Oma hält mir aufmunternd lächelnd die große Tasse Kakao hin. »Damit du was zum Nachfüllen hast.« Ich trinke und muss schon selbst wieder ein bisschen lächeln.
Nachdem ich auch den Marmorkuchen gegessen habe, habe ich wieder genügend Kraft, meiner Oma endlich zu erzählen, warum ich so weinen musste. Und endlich erzähle ich einmal alles, von Jan, von Patrick, dem Konzert, dem Verbot meiner Eltern, Patricia, dem vereinbarten Übernachten, dem aktuellen Verkrachtsein und meiner deshalb drohenden Obdachlosigkeit heute Nacht.
Meine Oma sagt erst einmal gar nichts, sondern seufzt nur und schließt die Augen. Ich fühle mich nach meiner Beichte selbst total erschöpft. So sehr, dass es mir fast egal ist, ob ich am Abend noch aufs Konzert komme, weil ich sowieso glaube, dass ich dort einschlafen werde. Trotzdem hoffe ich, dass meine Oma mich bei sich übernachten lässt. Allerdings hoffe ich auch, sie ist nicht jetzt schon eingeschlafen, weil sie nämlich schon sehr lange gar nichts sagt und mit geschlossenen Augen regungslos neben mir sitzt.
»Oma? Lebst du noch?«, stupse ich sie irgendwann besorgt an, und sie schlägt zum Glück ihre Augen auf.
»Ich habe nachgedacht«, sagt sie, und ich kann an ihrem Gesichtsausdruck leider überhaupt nicht erkennen, ob ihr Nachdenken sie jetzt dazu gebracht hat, mich bei sich übernachten zu lassen und damit auch meine Eltern mitzubelügen oder nicht.
»Es gefällt mir nicht, dass du deine Eltern belügst, Katja.«
Na bitte, jetzt weiß ich’s.
»Und es gefällt mir nicht, dass du von mir verlangst, diese Lüge mitzutragen.«
Das Konzert kann ich vergessen.
»Aber du bist aufrichtig und hast nicht versucht, mir Lügenmärchen aufzutischen, das ehrt dich sehr.«
Damit steht’s nur noch eins zu zwei auf der imaginären Pro-und-Kontra-Liste.
»Ich finde es überdies äußerst beruhigend, dass du in deinem zarten Alter nicht schon wegen eines Rendezvous mit einem Jungen so lange ausgehen möchtest.«
Unentschieden, juble ich innerlich und drücke äußerlich meine unter dem Sofakissen versteckten Daumen. Vielleicht wird es doch noch was mit dem Konzert.
»Allerdings ist es kaum weniger zweifelhaft, dich mit einem viel älteren Mann, und sei es auch nur dein Gitarrenlehrer, herumzutreiben.«
Wenn ich sie richtig verstanden habe, ist meine Chance gerade wieder deutlich gesunken.
»Und dann noch bei einem Rockkonzert!«
So, wie sie »Rockkonzert« ausgesprochen hat, steht die Chance jetzt wohl wieder bei null, und es ist klar, wo ich heute Abend sein werde: brav zu Hause bei meinen Eltern.
»Du darfst trotzdem bei mir übernachten, Katja.«
Ich habe mich jetzt garantiert verhört und sollte mich vielleicht doch mal als Testpatientin für Hörgeräte meinem Vater zur Verfügung stellen.
»Aber natürlich nur unter gewissen Bedingungen.«
Ich habe mich doch nicht verhört, meine Oma meint’s ernst. Aber was sind ihre Bedingungen? Sie will hoffentlich nicht mit ins Konzert gehen? Wie peinlich wäre das denn!
»Ich habe mir überlegt, zu deinem Konzert mitzugehen.« Warum passiert so etwas wirklich immer nur mir?
»Aber diese laute grässliche Musik und das lange Stehen sind nichts mehr für mich.«
Alt zu sein hat echt seine Vorteile, vor allem gerade für mich! Aber was sind dann sonst ihre Bedingungen?
»Du rufst mich mit deinem Handy an, sobald ihr beim Konzert angekommen seid. Und du rufst mich an, wenn ihr nach dem Konzert losfahrt. Und dein Lehrer Patrick Schwarz holt dich um Punkt sechs Uhr hier bei mir ab. Ich kenne ihn
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