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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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intelligenter als Wale, doch unser tierisches Erbe können wir nicht verleugnen. Wale hingegen sind eindeutig tierischer als wir — wie man an ihrem determinierten Verhalten, ihren Tischmanieren und ihren übrigen Usancen erkennt —, doch dürften einige von ihnen, Orcas etwa, über höhere Intelligenz verfügen, möglicherweise der von sehr frühen Menschen vergleichbar. Wo also ziehen wir die Grenze? Wie viel Tier muss ein Wal sein, dass man ihn wie eine Henne schlachten darf, wie menschlich hätten wir ihn gerne, um es zu verbieten? Und wie tierisch sind eigentlich Menschen, die ihresgleichen auf grausame Weise vom Leben zum Tode befördern?
    Wieder stoßen wir auf eine universale Wahrheit: In der Natur sind alle Übergänge fließend. Für die Entscheidung, wen oder was man tötet, ist die Mensch-Tier-Diskussion obsolet, ja geradezu verlogen.
    Wir sollten uns zu dem bekennen, was wir sind: Allesfresser, deren Gehirn sich hoch genug entwickelt hat, um mit unbequemen Fragen fertig zu werden und durch ausgiebiges Nachdenken halbwegs salomonische Urteile zu fällen. Nie werden wir zu wirklich vernünftigen Lösungen finden, weil wir mit Gefühlen ausgestattet sind, die sich zu Recht einmischen. So leistet sich jeder den Luxus seiner eigenen Auffassung. Ich persönlich habe zum Beispiel Respekt vor Vegetariern. Wenn es ihrer Überzeugung entspricht, kein Fleisch zu essen, sollen sie so leben. Jedoch halten sie keine Alternativen bereit, lösen kein einziges Problem. Wie viele zusätzliche Agrarplaneten man braucht, um knapp sechs Milliarden Menschen rein pflanzlich zu ernähren, steht nicht im vegetarischen Manifest. Andererseits — mir ist bis heute unklar, was ein Baum empfindet, wenn die Axt in seine Borke fährt, wie es dem Salat gefällt, geputzt zu werden, wie die Möhre über das Zerkleinertwerden denkt, was der Champignon von Champignonpastete hält. Bestimmte Lebewesen, ob Pflanzen oder Tiere, müssen wir nun mal essen, um zu überleben, ohne dass wir je Gewissheit darüber erlangen werden, was in diesen Wesen vorgeht. Von anderen Organismen hängt unser Überleben weniger ab. Dennoch essen wir sie, etwa Trüffeln oder Austern. Ich kann mich jedoch nicht an internationale Austern-Moratorien erinnern, ebenso wenig wie ich jemanden habe sage hören, man müsse diese wunderbaren Tiere schützen.
    Schon schwierig, das Ganze.
    Vielleicht versuchen wir es mal in kleinen Schritten. Ist der Mensch eine schützenswerte Spezies? Ja. Ist die Möhre eine schützenswerte Spezies? Ja, irgendwie schon. Und die Auster? Sicher, die auch. Und der Wal? Klar doch, gerade der Wal, der ist echt schützenswert, jawohl, das ist er!
    Einverstanden bis hierhin.
    Weiter gefragt: Ist jeder einzelne Mensch schützenswert? Definitiv! Ist jede einzelne Auster schützenswert? Nö, nicht wirklich. — Halt, rufen jetzt einige, natürlich ist jede einzelne Auster Schützenswert, sie ist ja ein Lebewesen! Gut, sagen andere, was ist dann mit der Möhre? Ist jede einzelne Möhre schützenswert?
    Hm. Na ja. Also eigentlich eher ... nicht. Also die Möhren als solche, okay! Aber jede einzelne, verdammte Möhre?
    Und der einzelne Wal?
    Augenblick. Verweilen wir noch ein wenig bei der Austern-Möhren-Fraktion. Es sei der Hinweis gestattet, dass allerkleinste Lebewesen aus dem Ultra- und dem Nanoplankton nicht exakt den Tieren oder Pflanzen zugeordnet werden können. Auch Tiere und Pflanzen haben also gemeinsame Wurzeln. Ich erwähne das nicht, um Einzeller zu spalten, sondern um uns in Erinnerung zu rufen, dass alles, was lebt, möglicherweise einem Kupfersulfatbläschen am Rande eines Schwarzen Rauchers entstammt und somit dieselbe Mama hat. Auch Möhren leben. Kaum ein Mensch, der seine paar Sinne beisammen hat, wird darum ernsthaft gegen den Verzehr von Karotten plädieren. Allerdings wäre es sinnvoll, die Gedankenlosigkeit zu hinterfragen, mit der wir manche Lebensformen als schützenswert betrachten und andere nicht. Wollten wir mit aller Konsequenz das ethische Register ziehen, müssten wir die Menschheit als Fehlentwicklung einstufen und uns selbst aus dem Programm nehmen — Tieren kann man nicht vorwerfen, dass sie andere Tiere oder Pflanzen fressen, sie wissen es nicht besser, weil sie keine Schuld empfinden. Wir aber müssten, streng genommen, selig lächelnd verhungern, damit der Dill nicht länger auf dem Matjesbrötchen landet. Irgendwie eine unglückliche Idee, Menschen mit Schuldempfinden auszustatten und ihnen gleichzeitig jede

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