Nachrichten aus Mittelerde
geneigt, die Dinge aufzuhalten oder einzuschränken.
Die Schiffe der Númenórer wurden in jenen Tagen immer größer, erhielten mehr Tiefgang, bis sie weite Reisen ausführen und viele Männer und Frachten befördern konnten; und Aldarion war oft lange Zeit von Númenor abwesend. Tar-Meneldur leistete seinem Sohn unentwegt Widerstand und er ließ in Númenordas Fällen der Bäume für den Schiffbau einschränken; darum kam Aldarion der Einfall, dass er in Mittelerde Bauholz finden würde und man dort nach einem Hafen suchen müsse, in dem die Schiffe instand gesetzt werden konnten. Auf seinen Reisen entlang der Küsten blickte er mit Staunen auf die großen Wälder; und an der Mündung des Flusses, den die Númenórer Gwathir, den Schattenfluss, nannten, gründete er Vinyalonde, den Neuen Hafen. 9
Aber als nahezu achthundert Jahre seit dem Beginn des Zweiten Zeitalters vergangen waren, befahl Tar-Meneldur seinem Sohn, nunmehr in Númenor zu bleiben und seine Reisen in den Osten für einige Zeit aufzugeben. Er wünschte nämlich, Aldarion zum Nachfolger des Königs auszurufen, wie es in jedem Zeitalter schon die Könige vor ihm getan hatten. Für diese Zeit versöhnten sich Meneldur und sein Sohn miteinander und zwischen ihnen herrschte Frieden. Inmitten von Jubel und Festlichkeit wurde Aldarion in seinem hundertsten Lebensjahr zum Erben ausgerufen und empfing von seinem Vater den Titel eines Oberbefehlshabers der Schiffe und Häfen von Númenor. Zu den Festlichkeiten in Armenelos kam von seinem Wohnsitz im Westen der Insel ein gewisser Beregar und mit ihm seine Tochter Erendis. Königin Almarian bemerkte ihre Schönheit, die von einer Eigenart war, wie man sie in Númenor selten fand; Beregar war nämlich ein später Nachkomme des Hauses Beor, obwohl er nicht der königlichen Linie von Elros entstammte, und Erendis war dunkelhaarig, von schlanker Anmut und hatte die klaren grauen Augen ihrer Sippe. 10 Doch Erendis erblickte Aldarion, als er vorüberritt, und seine Schönheit und sein herrscherliches Auftreten ließen sie kaum Augen für etwas anderes haben. Später wurde Erendis in die Hofhaltung der Königin aufgenommen und erwarb auch die Gunst des Königs. Doch sie sah Aldarion nur selten, der sich mit Eifer der Pflegeder Wälder widmete, da er es für wichtig hielt, dass Númenor in den kommenden Tagen keinen Mangel an Bauholz habe. Bald wurden die Seeleute der Gilde der Wagemutigen unruhig, denn sie waren nicht zufrieden damit, weniger oft auszulaufen und unter weniger bedeutenden Kapitänen kürzere Reisen zu unternehmen. Und als sechs Jahre seit der Ausrufung des Königserben vergangen waren, beschloss Aldarion, wieder nach Mittelerde zu segeln. Vom König erhielt er nur grollend die Erlaubnis, denn er widersetzte sich dem Drängen des Königs, in Númenor zu bleiben und sich ein Weib zu suchen; und im Frühling des Jahres setzte er Segel. Doch als er kam, um seiner Mutter Lebewohl zu sagen, erblickte er Erendis im Gefolge der Königin; und als er ihre Schönheit sah, ahnte er die Willenskraft, die in ihr verborgen war.
Darauf sagte Almarian zu ihrem Sohn: »Musst du wieder fortgehen, Aldarion, mein Sohn? Gibt es nichts im schönsten aller irdischen Länder, das dich hält?«
»Noch nicht«, antwortete er, »doch in Armenelos gibt es schönere Dinge, als sie ein Mann anderswo finden könnte, selbst in den Ländern der Eldar. Doch Seefahrer haben zwei Seelen in der Brust, die miteinander im Streit liegen, und noch hält mich das Verlangen nach dem Meer gefangen.«
Erendis glaubte, dass diese Worte auch für ihre Ohren gesprochen waren, und von dieser Zeit an wandte sie Aldarion ihr Herz gänzlich zu, wenn auch nicht mit Hoffnung. Weder Sitte noch Gesetz schrieben in jenen Tagen vor, dass Angehörige des königlichen Hauses, nicht einmal der Königserbe, sich ausschließlich mit Abkömmlingen des Elros Tar-Minyatur verheiraten mussten; dennoch glaubte Erendis, dass Aldarion von zu hoher Geburt sei. Doch in der Folgezeit schenkte sie keinem Mann ihre Gunst und wies jeden Freier ab.
Sieben Jahre vergingen, ehe Aldarion zurückkam, und er brachte kostbare Metalle, Silber und Gold mit; und er sprachmit seinem Vater über seine Reise und seine Taten. Aber Meneldur sagte: »Ich hätte dich lieber an meiner Seite gehabt, als Nachrichten oder Geschenke aus den Dunklen Ländern zu bekommen. Das ist Sache der Kaufleute und Forscher und nicht die des Königserben. Wozu brauchen wir mehr Silber und Gold, außer
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