Nachsuche
wie lange sich Beer von seinem frechen Schachzug einschüchtern lässt. Freundschaft mit dem Chef kann ein verdammt kurzes Verfallsdatum haben. Aber noch eine andere Frage beschäftigt ihn. Wieso glaubt er Pfähler und Niederöst nicht? Vielleicht war Kevin ein ebenso begnadeter Geschichtenerzähler wie der Doktor. Er hat ihn nur nicht durchschaut. Das könnte bedeuten, Kevin ist doch schuldig und er, Noldi, macht sich zum Narren, indem er ihn zu entlasten sucht. Seine Stimmung verdüstert sich.
Eigentlich will er in der Kantine noch einen Kaffee trinken, bevor er zurück ins Tösstal fährt. Doch vor der Tür trifft er ausgerechnet den Kohler, diesen missgünstigen, schadenfrohen Eckensitzer. Doch diesmal bleiben die ätzenden Sprüche aus. Er sagt nur im Vorübergehen: »Hast du gehört, sie haben die Pfähler laufen lassen. Man hat ein Verfahren gegen sie eingeleitet, sie aber vorläufig auf freien Fuß gesetzt.«
Noldis erste Regung ist, sofort zu ihr zu fahren, noch einmal mit ihr zu reden, sie auszuquetschen, das Haus zu durchsuchen. Da fällt ihm der Müllsack wieder ein. Erneut ändert er seine Absicht, rennt ins Labor, in der Hoffnung, dass man irgendetwas gefunden hat, das ihm weiterhilft.
»Seid ihr mit den Untersuchungen fertig?«, fragt er, noch bevor er durch die Tür ist.
Die Kollegen nicken beide gleichzeitig.
»Das ist toll«, sagt Noldi atemlos, und seine Stimmung hebt sich. »Habt ihr etwas gefunden?«
»Also«, beginnt einer, »das in der vollen Spritze ist eine Traubenzuckerlösung.«
»Traubenzucker?«, fragt Noldi.
»Ja.«
»Und in der anderen, der leeren, war tatsächlich Novo-Rapid, ein schnell wirkendes Insulin«, ergänzt der andere. »Daran ist die Walter gestorben. Auf der Spritze befinden sich nur ihre Fingerabdrücke. Aber die Handstellung stimmt nicht, was bedeutet, so kann sie sich die Spritze kaum selbst gesetzt haben. Und falls doch, müssten sie stärker verwischt sein, weil ihr die Spritze aus der Hand gefallen wäre. Das heißt, jemand hat ihr die Spritze in die Hand gedrückt, als sie schon bewusstlos war.«
»Noch etwas«, ergänzt der andere Kollege, »die leere Spritze ist ein altes Modell, das bei uns im Handel nie erhältlich war. Ich habe es nachgeprüft, weil ich denke, es interessiert dich.«
»Und wie«, sagt Noldi. »Kannst du vielleicht auch herausfinden, wo man die bekommt?«
»Schon geschehen. Bei uns nirgends. Es ist ein japanisches Produkt.«
»Was fange ich damit an?«, fragt Noldi verständnislos.
Die Kollegen freuen sich diebisch, dass er so verdutzt ist.
»Das«, erwidern sie fröhlich, »wissen wir nicht. Sicher ist nur, die Spritze wurde nicht in der Schweiz verkauft. Vielleicht hat sie jemand als Andenken von irgendwo mitgebracht. Oder der Mörder ist Ausländer. Du siehst, wir bemühen uns, die Schnitzeljagd für dich so spannend wie möglich zu gestalten.«
»Könntet es auch einfacher machen«, seufzt Noldi. »Beer ist nicht begeistert von meinem Alleingang. Und ich weiß nicht, wann ihm die Geduld reißt. Aber ich danke euch für euren ungeheuren Einsatz und ich spendiere euch dafür gern einmal eine Runde.
Und der Computer? Gibt es da etwas?«
»Wir sind noch daran«, wird er vertröstet.
Nach seinem Besuch im Labor fährt er schnurstracks nach Sirnach.
Corinna Pfähler kommt Noldi entgegen, als er sein Auto vor der Garage abstellt. Sie ist auch diesmal ungekämmt, hat offensichtlich ein schmutziges Hemd ihres Mannes an und dazu ein Paar ölverschmierte Arbeitshosen.
»Kevin wollte Sie verlassen«, sagt Noldi ohne Umschweife.
Sie bleibt ruhig. »Das habe ich ihm vorgeschlagen. Ich habe gesagt, wenn du es nicht mehr mit mir aushältst, lassen wir uns scheiden und könnten trotzdem gute Freunde sein. Aber er hat geschrien, so billig käme ich nicht davon. Er hat mich gepackt, mich ins Gesicht geschlagen. Dann hat er ganz ruhig und freundlich gesagt, du hast mich betrogen, du verdammte Schlampe. Und hat seine Hände um meinen Hals gelegt.«
»Das ist Ihre Version, Frau Pfähler«, sagt Noldi. »Es könnte aber auch anders gewesen sein. Kevin wollte Sie verlassen und Sie haben den Gedanken nicht ertragen. Sie wissen, der Arzt hat keine Verletzungen an Ihrem Hals festgestellt.«
»Ich habe Ihnen alles erzählt«, sagt Corinna. »Ich habe Panik bekommen.«
»Weil er Sie nicht gehen lassen wollte, oder weil Sie verhindern wollten, dass er geht?«
»Dass Kevin geht? Wohin? Wer hat Ihnen diesen Unsinn erzählt?«, fragt sie. »Die
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