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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Melodia
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gerechnet. Nimm Platz.«
    »Es tut mir leid, Sie zu stören.«
    Beide sehen wir flüchtig auf den mit Schreibkram beladenen Tisch.
    »Du störst mich keineswegs.« Irgendwie schafft er es, mich vom Grund seiner Müdigkeit aus anzulächeln, und seine markanten Züge werden weicher.
    Es gibt tausend Fragen, die ich ihm stellen möchte, aber ich komme gleich zur wichtigsten.
    »Ich wollte mich nach Agatha erkundigen. Wie geht es ihr?«
    »Agatha geht es gut. Sie hat ein Beruhigungsmittel bekommen und wird von Fachärzten überwacht. Sie ist ausgerastet vor Wut, als wir sie festnahmen, und hat einen Beamten gebissen und einen anderen heftig getreten. Eine wahre Furie, glaub mir, ich war dabei.«
    Ich nicke ernst. Ich kann mir ihren Schreck und ihren Zorn vorstellen, als die Polizei vor ihrer Haustür stand.
    »Weiß sie, dass ich sie verraten habe?«
    »Nein, keine Sorge.«
    »Aber sie könnte gemerkt haben, dass ich im Haus war.«
    »Ja, das war dumm von dir. Dieses Mädchen hätte dir Gott weiß was antun können, wenn sie dich entdeckt hätte. Zum Glück ist es gutgegangen.«
    »Stimmt«, entgegne ich.
    Der Kommissar beäugt mich finster. »Wenn ich dir jedoch einen Rat geben darf – lass dich nicht zu häufig hier auf dem Revier sehen. Nach der Sache mit der Sekte und jetzt mit der zu Stein verwandelten Frau werden wir von den Medien buchstäblich belagert. Sie haben eine neue Sensation, die sie den Lesern zum Fraß vorwerfen können: Die Jugendlichen sind das personifizierte Böse. Sie töten, brandschatzen, zerstören, versteinern.«
    »Aber was geht hier wirklich vor?«
    »Ich weiß es noch nicht. Und bis ich es herausgefunden habe, solltest du dich besser von hier fernhalten. Bis die Wogen sich ein wenig geglättet haben. Wenn du mit mir sprechen willst, ruf mich an. Eventuell könnte ich … ich weiß nicht … auch bei euch zu Hause vorbeikommen.«
    Ich beiße mir auf die Lippen. »Das ist eine gute Idee.«
    Derweil denke ich an all das, was ich getan habe, an all meine Entscheidungen der letzten Zeit, und hoffe, dass sie nicht auf mich zurückfallen werden wie ein Bumerang.
    »Ist alles in Ordnung?«, fragt Sarl. »Du wirkst ziemlich mitgenommen.«
    »Doch, doch, danke.«
    »Bist du sicher? Du willst mir nicht noch etwas anderes sagen?«
    Es wäre schön, sein Gewissen erleichtern zu können, es von dem Müll zu reinigen, der es vergiftet, und einen neuen Anfang zu machen. Aber so einfach ist das nicht. Nicht für mich. Nicht im Moment. Außerdem, was sollte ich ihm gestehen? Sehen Sie, Herr Kommissar, ich weiß nicht, wie ich es Ihnen erklären soll, aber es gibt da so Männer mit einem Drachenring, die mich verfolgen, ich habe Anfälle von Schlafwandeln, bei denen ich über Morde schreibe, die dann Wirklichkeit werden, und ich selbst wollte gestern Abend meinen Bruder erschlagen. Schleunigst verwerfe ich den Gedanken und gebe mich möglichst entspannt.
    »Eins vielleicht noch. Gibt es neue Entwicklungen in den Mordfällen?«
    »Wir sind dabei, Tito und seine Komplizen zu vernehmen. Früher oder später wird einer von ihnen gestehen, oder deine Freundin zeigt sie doch noch an, was das Vernünftigste wäre. In der Zwischenzeit geht es dort draußen wenigstens ein bisschen sicherer zu.«
    »Ja, das ist gut«, sage ich ohne große Überzeugung.
    »Das wird ein Erfolg werden, keine Angst.«
    »Was?«
    »Dein Artikel.«
    »Ach so, ja.«
    Voll Unbehagen stehe ich auf. »Danke für Ihre Zeit, mal wieder. Und vielleicht könnten Sie wirklich demnächst mal abends … «
    »Ja, gern.«
    »Jenna lässt Sie grüßen.«
    Das stimmt nicht, aber es wird ihn freuen.
    Sein Gesicht hellt sich auf.
    »Danke. Grüß sie bitte zurück.«
    Ich gehe und schließe hinter mir die Tür.
    Tausende von Menschen.
    Und niemand kann mir eine Antwort geben.
     
    Es gelingt mir, das Gebäude zu verlassen, ohne dass Roth oder ein anderer nachrichtenhungriger Reporter mich für ein Interview aufhält. Draußen streife ich ziellos in der Gegend herum, meine Beine bewegen sich von allein.
    Gierig atme ich die Luft ein, die hier, in der Nähe des Flusses, süßlich und schwer von Feuchtigkeit ist. Ich betrachte die Stadtlandschaft um mich herum mit neuen Augen: Nichts ist wie vorher, jetzt, da ich mich so anders fühle, da ich sicher bin, dass mir etwas Besonderes zuteilgeworden ist, eine Gabe oder ein Fluch. Etwas, mit dem ich nicht umzugehen weiß. Etwas, das dabei ist, mich langsam zu verschlingen, wie eine fleischfressende Pflanze ein

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