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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Melodia
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gesagt.«
    »Weil du dabei warst. Sie ist sicher dankbar für deine Hilfe, schämt sich aber auch.«
    »Das kann ich verstehen, aber ich werde mit niemandem darüber reden.«
    »Auch nicht mit Adam?«
    Ich weiß nicht, warum ich das gesagt habe, es ist mir einfach so herausgerutscht.
    »Warum fragst du mich nach Adam?«
    »Sah so aus, als wärt ihr befreundet.«
    »Ich kenne ihn, sonst nichts.«
    Ich bohre nicht weiter, und er gibt keine weiteren Erklärungen.
    Die Hände in den Taschen, gehen wir Seite an Seite zum Auto.
    Ich habe Naomi vor dem Verhör durch ihre Mutter bewahrt. Ihre Eltern dürfen nicht erfahren, was wirklich mit ihr passiert ist. Ihr Vater ist ein streitsüchtiger Rechtsanwalt, der in der ganzen Stadt für Wirbel sorgen würde, indem er sämtliche Freunde und Bekannte seiner Tochter verklagt. Mich eingeschlossen. Ihre Mutter, die typische unzufriedene Hausfrau, würde ihrer Tochter die ganze Zeit im Nacken sitzen und sie in den Wahnsinn treiben. Das Ganze würde nur viel Staub aufwirbeln und am Ende noch dazu führen, dass wir das aus den Augen verlieren, was wirklich an dieser Sache geklärt werden muss: die Rolle von Tito oder seinen Freunden und was auf dieser Party oder danach passiert ist.
    Gesichter ziehen vor meinen Augen vorbei wie Fahndungsfotos.
    Ich fühle mich zerschlagen.
    »Kann ich dich nach Hause fahren?«, fragt Morgan.
    Ohne Zögern nehme ich an.
    Zum ersten Mal seit Beginn dieser hässlichen Geschichte bin ich ruhig und klar genug, um Morgans Auto bewusst wahrzunehmen. Es ist klein und sportlich, von schnittigem, aggressivem Design.
    »Ist er schwarz oder blau?«, frage ich.
    »Dunkelblau, wie die Nacht.«
    »Wie die Dunkelheit.«
    »Genau, wie die Dunkelheit.«
     
    Als wir vor meinem Haus ankommen, steigt Morgan aus und hält mir die Wagentür auf. Es ist das erste Mal, dass jemand so etwas für mich tut. Aber ich bin zu aufgewühlt, um es zu würdigen.
    »Geht es dir gut?«, erkundigt er sich.
    »Ja, warum?«
    »Du hast auf der ganzen Fahrt nichts gesagt.«
    »Tatsächlich? Habe ich gar nicht gemerkt.«
    »Du grübelst zu viel.«
    »Ich kann nicht anders. Ich kann mein Hirn nicht abschalten.« Ich schlage mir mit der flachen Hand gegen die Stirn.
    »Es wird alles wieder normal, mach dir keine Sorgen.«
    Ich deute ein Lächeln an. Keine Ahnung, warum, aber ich habe das Gefühl, dass er genau versteht, was ich empfinde. Ich werfe einen Blick auf die triste Betonfassade unserer Mietskaserne.
    »Ich sollte jetzt besser raufgehen … Danke für alles.«
    Morgan macht einen Schritt auf mich zu. Ich bleibe ruhig stehen.
    Er sieht mir gerade in die Augen, als suchte er bei mir eine Bestätigung für etwas, das ihm durch den Kopf geht.
    Sein Gesicht kommt näher. Näher als je zuvor.
    Ich bin wie versteinert.
    Dann hebt er die Hand, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen, streicht er mir unendlich zart über die Stirn, die Schläfe und langsam hinunter über meine Wange bis zum Kinn. Ich erschauere.
    »Ruh dich aus. Du wirkst sehr müde.«
    Ich beobachte die Bewegung seiner Lippen, während er spricht. Seinen hypnotisierenden Mund. Ich spüre die Berührung seiner Finger, aber sie stört mich nicht. Ich kann es ertragen. Ich will sogar, dass er weitermacht.
    »Danke noch mal«, bringe ich lediglich heraus, bevor ich mich abwende und ins Haus schlüpfe.
    Ich rufe den Aufzug, dann drehe ich mich um.
    Durch die Glasscheibe der Haustür sehe ich ihn ins Auto steigen, mir einen letzten Gruß zuwinken und aus meinem Gesichtsfeld verschwinden.
    Ich fühle mich ihm immer näher. Und er wird mir immer rätselhafter.

[home]
    Kapitel 31
    N aomi liegt auf der mit grünem Stoff bezogenen Couch. Ihre Augen sind geschlossen, als würde sie schlafen. Doktor Mahl, einhundertsiebzig Zentimeter groß, von denen mindestens zehn von seiner blonden Lockenmähne bedeckt sind, sitzt seitlich daneben auf einem Stuhl. Er hat lange schmale Finger, die er begleitend zu seiner Stimme bewegt. Er spricht ruhig und monoton, scheint eine Art Mantra herzusagen. Seine Technik funktioniert, Naomis Lider beginnen zu flattern, wie von kleinen Stromstößen durchzuckt.
    Ich sitze ebenfalls auf einem Stuhl, etwas abseits. Theoretisch dürfte ich gar nicht in diesem Zimmer sein, aber ich habe Doktor Mahl die Umstände erklärt, die uns zu ihm führen, ohne meinen Verdacht gegen Tito und seine Party zu verschweigen. Daraufhin hat er mir erlaubt, dabei zu sein, unter der Voraussetzung, dass ich mich vollkommen still verhalte.

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