Nacht der Dämonin / Magischer Thriller
aßen, und nur sehr wenige wagten es, sich anders zu verhalten.
»Ich sollte wirklich …«, begann ich.
»Gehen. Ich weiß.« Er blieb an einem Fenster stehen, von dem aus man die Kantine überblicken konnte. »Wie viele Leute sind in der Firmenzentrale beschäftigt, Lucas?«
»Zweihundertfünfundvierzig dem letzten Quartalsbericht zufolge.«
»Und in der ganzen Firma, die mit Menschen besetzten Bereiche nicht gerechnet?«
»Ungefähr vierhundertfünfzig.«
»Du hast diese Zahlen parat, ohne auch nur überlegen zu müssen, richtig?«
»Ich sorge dafür, dass ich auf dem Laufenden bleibe.«
Ein langsames Nicken. »Vierhundertfünfzig geknechtete Seelen, die der Rettung harren.«
Ich biss die Zähne zusammen. »Sind wir hier, damit du dich über mich lustig machen kannst, Vater? In diesem Fall habe ich …«
»Wichtigeres zu tun.«
Ich zwang mich dazu, ihm ins Gesicht zu sehen. »Ich sehe keine vierhundertfünfzig geknechteten Seelen, die der Rettung harren, aber das weißt du selbst. Ich sehe vierhundertfünfzig Paranormale, Angestellte einer Organisation, die nicht immer an ihrem Wohl interessiert ist.«
»Ganz im Gegensatz zu von Menschen geleiteten Konzernen«, murmelte er.
»Von Menschen geleitete Konzerne spüren ehemalige Angestellte nicht auf, um sie hinzurichten. Sie foltern diejenigen, die sie der Industriespionage verdächtigen. Oder bedrohen ihre Familien. Oder setzen Erpressung zur Rekrutierung ein. Oder …«
Er hob die Hand. »Botschaft angekommen.«
»War es wirklich nötig, dass ich sie ausspreche?«
Einen Moment lang sah er durch das Fenster hinunter in die Kantine, wo seine Angestellten aßen und sich unterhielten.
»Unter allen Kabalen – wie stehen die Cortez’ da? Im Hinblick auf ›Menschenrechtsverletzungen‹?«
»Darauf werde ich nicht antworten, weil du die Antwort genau kennst. Deinen Platz auf dieser Skala zu rühmen wäre so, als lobte man einen Mann dafür, dass er seine Frau nur sonntags schlägt.«
»Wenn diese Kabale zusammenbräche, was meinst du, wohin all die Leute gehen würden? Das sind Käfigvögel, Lucas. Man kann nicht einfach die Tür öffnen und sie freilassen. Das wäre grausamer als alles, was du uns vorwirfst. Wenn die Cortez-Kabale verschwindet, werden sie sich in die nächste Organisation flüchten, die ihnen Schutz bietet, zu einer anderen Kabale, in eine üblere …«
»Nicht.« Die Kante des Tabletts grub sich in meinen Daumenansatz, und mir wurde klar, dass ich es immer noch hielt – mit beiden Händen umklammerte. Ich stellte es ab. »Dies ist nicht der Zeitpunkt …«
»Nein, das ist er nicht. Aber es wird bald so weit sein …«
»Carlos ist am Leben – und wahrscheinlich unschuldig. Dann sind da noch meine Cousins …« Ich hörte die Verzweiflung in meiner Stimme und räusperte mich. »Du wirst noch auf Jahre hinaus keine endgültigen Entscheidungen zu treffen brauchen.«
»Nein? Wenn die letzten Tage irgendetwas bewiesen haben, dann das, dass ich diese Zeit nicht habe. Wir werden uns darüber unterhalten müssen.«
Ich wandte mich ihm zu. »Bitte, Papá. Nicht jetzt.«
»Wann also, Lucas? Sag mir, wann werde ich dir dies antun müssen? Deine Lebensträume zerstören? Dich zwingen, jemand zu werden, der du niemals sein wolltest? Zu dir sagen, dass es deine
Pflicht
ist?« Seine Stimme stockte. »Wann werde ich es also machen? Meinen Erben bestimmen, meinen Sohn verlieren?«
»Nicht jetzt. Bitte. Ich muss …« Meine Kehle war plötzlich wie verschlossen, und ich musste die Worte herauszwingen. »Ich muss wirklich gehen.«
[home]
Hope
Biologie ist Schicksal
H ätte ich mir jemals vorgestellt, dass ich in diese Situation geraten würde – als Geisel genommen und zu einem Auto geführt –, dann hätte ich erwartet, meine Gedanken würden im Warptempo voraushasten. Meine Augen würden die Umgebung kontrollieren auf der Suche nach einer Fluchtmöglichkeit oder wenigstens einer Gelegenheit, die Aufmerksamkeit anderer auf mich zu ziehen. Stattdessen aber ging ich einfach. Konzentrierte mich darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen.
Jaz schlenderte neben mir her, den Arm in meinen gehakt, und schwatzte. Die Pistole steckte in seiner Tasche. Es machte keinen Unterschied. Die andere Schusswaffe – die, die Sonny für Karl bereithielt – war wichtiger. Es gibt Risiken, die man für sich selbst einzugehen bereit ist, weil man weiß, wenn es schiefgeht, wird es zum Bereuen zu spät sein. Wenn man jedoch das Leben
Weitere Kostenlose Bücher