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Nacht der gefangenen Träume

Nacht der gefangenen Träume

Titel: Nacht der gefangenen Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Michaelis
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Paketen. Er knackte zufrieden mit seinen langen Fingern. Diese Finger waren die einzigen in St. Isaac, die nie mehr freiwillig ein Instrument anrühren würden.
    Josephine musste rennen, um mit Bruhns Schritt zu halten.
    »Was hat es auf sich mit dem Abrisshaus, Herr Direktor?«, fragte sie außer Atem. »Warum haben Sie sich geschworen, das Haus nie mehr zu betreten, Herr Direktor?«
    »Ich bin auf dem Weg , es zu betreten«, sagte Bruhns, ohne auf ihre Frage einzugehen. »Zum letzten Mal. Und nenn mich nicht dauernd Herr Direktor.«
    Schweißperlen standen auf Kahlhorsts Stirn, als er gegen 9.36 Uhr bei Lisas Wohnung ankam. Er hatte Glück: Sie saß im offenen Fenster.
    Als sie Kahlhorst sah, schüttelte sie verwirrt den Kopf. »Was tun Sie denn hier? Haben Sie keinen Unterricht?«
    Er versuchte, wieder zu Atem zu kommen. »Haben Sie keinen Unterricht?«
    »Doch«, sagte Lisa. »Aber ich schwänze heute. Ich warte auf jemanden. Auf zwei Jemande.«
    Unter ihren Augen hingen dunkle Ringe, und hätte Kahlhorst Dinge gesehen, dann hätte er bemerkt, dass sie weniger weit über dem Boden schwebte als gewöhnlich. Er lehnte sein Rad an die Hauswand.
    »Das Paket«, sagte er, »das Frederic angeblich geklaut hat. Ich habe es.«
    Sie starrte ihn an. »Wie? Wo? «
    »Nein, das ist falsch. Ich – ich habe es nicht. Ich habe es versteckt. An einem Ort, an den Bruhns sicherlich niemals gehen wird. Einen Ort, den er hasst. Ich – ich wusste bis eben nicht, was das Zeug in dem Paket ist. Aber gerade habe ich es herausgefunden. Ich dachte, Sie können mir vielleicht sagen, was es bedeutet. Ich habe ein schlechtes Gefühl dabei.«
    »Kommen Sie herein und essen Sie ein Brötchen. Ich habe welche gekauft, falls einer von den beiden auftaucht, auf die ich warte. Ich kriege im Moment nichts runter.«
    Kahlhorst kletterte etwas mühsam durchs Fenster und ließ sich ächzend auf einen Stuhl fallen. »Brötchen, ja«, sagte er. »Brötchen wären schön.«
    Lisa goss Kaffee ein, den Blick besorgt zwischen Uhr und Tasse hin und her schweifend. Dann setzte sie sich, faltete die Hände auf dem Tisch, entfaltete sie wieder und sah Kahlhorst schließlich an.
    »Also?«
    »Das Zeug in dem Paket heißt Schwindtex«, antwortete Kahlhorst. »Aber wie es heißt, tut vermutlich nichts zur Sache …«
    »Und? Was ist Schwindtex?«
    Kahlhorst verschluckte nervös die ganze Kaffeetasse.
    »Sprengstoff«, sagte er.
    »Da ist jemand«, flüsterte Frederic und fuhr aus seinen Gedanken über komprimierte und nicht komprimierte Albträume auf. Gedanken, die übrigens nirgendwohin führten. »Jemand ist im Haus. Unten.«
    »Das sind nur die Katzen«, sagte Änna.
    »Ziemlich ungewöhnliche Schritte für Katzen«, wisperte Frederic. »Wenn, dann sind es sehr große Katzen, zwei Stück, und jetzt flüstern sie.«
    Sie lauschten gemeinsam. Dann glitt Frederic vom Fensterbrett und zog Änna mit sich die Treppen hinauf zum Dach. Die Kugel an ihrem Fuß polterte auf den Stufen und er zuckte jedes Mal zusammen. Schließlich schlüpften sie durch die schiefe, altersschwache Tür zum Dachboden und schlossen sie, so gut es ging. Frederic schob mit dem Fuß ein Stück von einem herabgefallenen Balken davor.
    »Was glaubst du, wer …?«, begann Änna, doch Frederic legte einen Finger an den Mund.
    Da beugte sich Änna ganz nah zu ihm, so nah, dass ihre Lippen sein Ohr berührten und es in ihm seltsam kribbelte.
    »Das Paket, Frederic«, wisperte sie. »Es ist immer noch unten.«
    »So«, murmelte Bruhns ein Stockwerk tiefer. »Da haben wir es. Also hatte Frederic es doch. Er ist nicht dumm. Er wusste, dass ich das Haus meide.«
    Er sah sich um. Eine letzte gerahmte Fotografie hing zwischen den leeren Haken an der schimmelnden Tapete. Sie zeigte einen kleinen Jungen mit einem Pokal in der Hand. Bruhns betrachtete das Foto eine Weile wie hypnotisiert. Dann streckte er den Arm aus, ganz plötzlich, riss das Bild von der Wand und schleuderte es auf den Boden, wo das Glas klirrend zersplitterte.
    Er sah das Erschrecken in Josephines Augen. Sie begriff nichts. Wie auch? In ihrem Kopf gab es nur Pudding: Schokoladenpudding, Vanillepudding, Erdbeerpudding. Auf einmal konnte Bruhns den Pudding riechen; ein aufdringlicher Gestank nach künstlichen Aromen ließ seinen Kopf dröhnen. Er nahm das Paket vom Fensterbrett, stellte es auf den Boden und kniete sich daneben. In seinen Händen kringelten sich Kabel.
    »Was tun Sie da?«, fragte Josephine.
    Bruhns antwortete

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