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Nacht der Geister

Nacht der Geister

Titel: Nacht der Geister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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der wenigen größeren Häuser; der Rauch der Holzfeuer hing als blaugrauer Nebel über dem Ort.
    »Männerausflug ins neunzehnte Jahrhundert?«
    Kris schüttelte den Kopf und zeigte zur Küste. Mindestens ein Dutzend Boote drängte sich in dem winzigen Hafen; sie lagen dicht beisammen und waren sogar in zweiter und dritter Reihe geparkt. Und es waren nicht einfach irgendwelche Boote, sondern spektakuläre hölzerne Galeonen, jede mit einem Dutzend oder mehr Segeln und Decks, die aussahen wie ein einziger Dschungel aus Tauwerk. Hoch oben an den Masten flatterten Fahnen in der Brise. Zunächst sahen sie nur aus wie bunte Tuchfetzen. Aber als ich auf mein schärferes Sehvermögen umschaltete, erkannte ich die Motive ein Arm, der eine Säbelscheide hielt, ein Skelett mit erhobenem Glas, mehrere Landesflaggen und an mehr als der Hälfte der Schiffe der gute alte Schädel mit den gekreuzten Knochen. Piraten.

    21
    D as erklärte wohl, warum Luther Ross sich Roatan als Wohnsitz ausgesucht hatte der einzige Zugang zu der Insel wurde von einem Piratennest bewacht. Und jetzt wussten wir auch, warum der halbdämonische Surfer uns geraten hatte, uns umzuziehen. Die Geisterwelt steht allen Geistern offen, aber dass es nicht verboten ist, an einen bestimmten Ort zu gehen, bedeutet noch lange nicht, dass man dort zum Bleiben aufgefordert wird. Wenn man in Zivilkleidung eine Themenstadt betritt, ist man dort etwa so willkommen wie ein Mormone auf einer Halloweenparty.
    Im Schatten einer verlassenen Hütte am Stadtrand zogen wir uns um. Kristof tat sein Bestes, um zu erreichen, dass ich mich von ihm anziehen ließ, aber ich zwang ihn, hinter einer Ecke zu warten, während ich meine Aufmachung selbst gestaltete.
    »Immer noch nicht fertig?«, rief Kris nach ein paar Minuten.
    »Wenn du Hilfe brauchst «
    Ich bog um die Ecke, und ein Grinsen breitete sich langsam über Kris’ Gesicht aus. Ich hatte mir enge Lederhosen, kniehohe Stiefel und ein geschnürtes weißes Mieder mit einer schwarzen Schärpe um die Taille ausgesucht, dazu riesige goldene Ohrringe und ein rotes Tuch um den Kopf, unter dem mir das Haar über den Rücken fiel. Ich ähnelte der wirklichen Anne Bonney in dieser Aufmachung wahrscheinlich etwa so sehr, wie Elizabeth Taylor damals nach Kleopatra ausgesehen hatte, aber an einem Ort wie diesem kam es nicht auf historische Originaltreue an.
    Ich musterte Kris’ Garderobe weißes Leinenhemd, schwarze Hosen, die er in die schwarzen Stiefel gesteckt hatte, und eine schwarze Seemannsjacke mit Messingknöpfen.
    »Sieht gut aus«, sagte ich. »Und jetzt Moment. Da fehlt noch was.«
    Ich schloss die Augen und beschwor zwei Entermesser.
    »Die Hardware«, sagte ich, während ich eins an Kris weitergab. »Meinst du, wir kriegen eine Gelegenheit, sie einzusetzen?«
    »Nur mit sehr viel Glück. Aber zur Sicherheit wechsle ich lieber . . . « Er schloss die Augen und machte aus dem Entermesser einen Degen, den er in der Hand wog und einmal kreisen ließ, dann lächelte er und machte einen Ausfall. »En garde.«
    »Äh, Kris Piraten, nicht die drei Musketiere.«
    »Ist doch egal.« Er hieb nach einem imaginären Gegner. »Ich habe meinem Vater immer gesagt, irgendwann zahlen sich die Fechtstunden aus.«
    »Du kannst mit diesem Ding also wirklich umgehen?«
    Er grinste. »Willst du’s ausprobieren?«
    Er ließ die Spitze des Degens an meiner Kehle hinuntergleiten bis zum Ausschnitt, hakte sie unter den Rand meines Mieders und hob es an. In dem Augenblick, in dem er hinreichend abgelenkt war, warf ich mich nach hinten und hob das Entermesser. Kris stürzte vor, den Degen erhoben, ich täuschte, wirbelte hinter ihn und legte ihm die Klinge in den Nacken. Er duckte sich und warf sich zur Seite; ein paar Sekunden lang fochten wir, dann erwischte er die Unterseite meines Entermessers und schleuderte es mir aus der Hand. Ich tat einen schnellen Schritt rückwärts und prallte gegen einen Baum.
    Kristof hob die Degenspitze wieder an meine Kehle.
    »Bittest du um Gnade?«
    »Niemals.«
    Er lachte und ließ die Klinge nach unten gleiten. Dieses Mal schob er sie unter die Schnüre meines Mieder und schnitt die oberste davon auf.
    »Kris «
    Er hakte die Klinge unter die nächste Schnur.
    »Kris «
    »Oh, du weißt genau, ich werde nichts tun«, sagte er. »Ich werde es nicht mal probieren. Nicht, bevor ich nicht weiß, dass du so weit bist. Ich möchte dich bloß . . . « Ein kleines Lächeln, als er sich gegen mich drückte. »Erinnern.

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