Nacht der Leidenschaft
seinen Geschäftsräumen schien eine Ewigkeit entfernt zu sein.
Kapitel 4
Morgen um zehn Uhr werde ich Ihnen eine Kutsche schicken.
Ich werde nicht kommen.
Doch, Sie werden kommen.
Dieser kleine Schlagabtausch hatte Amanda die ganze Nacht beschäftigt, hallte im Traum wie ein Echo wider und ließ sie am darauffolgenden Morgen früher als gewöhnlich erwachen. oh, wie gern würde sie Mr. John T. Devlin den wohlverdienten Korb geben und sich weigern, in seine Kutsche zu steigen! Aber der heimliche Erwerb ihres Erstlingswerks Eine unvollkommene Frau musste besprochen werden. Sie wollte nicht, dass er oder irgendein anderer das Buch veröffentlichte.
Viele Jahre waren vergangen, seitdem sie dieses Manuskript noch einmal gelesen hatte. Obwohl sie damals ihr Bestes getan hatte, enthielt der Roman zweifellos viele Fehler in Bezug auf die Handlung und Darstellung der Charaktere. Im Fall einer Veröffentlichung musste sie damit rechnen, dass die Kritik sie zerfetzte und die Leserschaft enttäuscht wäre, wenn nicht eine Reihe von Änderungen vorgenommen wurden. Und sie hatte weder Zeit noch Lust, sich dieser Mühen zu unterziehen, zumal ihr der Roman gerade mal zehn Pfund eingebracht hatte.
Daher musste sie Devlin dieses Buch wieder wegnehmen.
Zudem bestand noch die Möglichkeit, er-presst zu werden. Wenn er das Gerücht in London verstreute, dass Amanda sich männliche Prostituierte kommen ließ, wären ihr Ruf und ihre Karriere ruiniert. Irgendwie musste sie Devlin das Versprechen abluchsen, niemals ein Wort über diesen entsetzlichen Geburtstagsabend verlauten zu lassen.
So ungern sie es sich auch eingestand, sie war neugierig. Auch wenn sie ihre Vernunft sprechen ließ, ihre Neugier war jedoch stärker. Sie wollte Devlins Verlagshaus sehen, seine Bücher, die Druckerei, die Binderei, die Geschäftsräume und alles, was sich in dem klotzigen Gebäude an der Ecke Holborn und Shoe Lane befand.
Mit Sukeys Hilfe steckte Amanda das Haar zu einem festen Knoten hoch und zog ein strenges Kleid aus grauem Samt mit eng anliegendem Oberteil. und weiten raschelnden Röcken an. Der einzige Schmuck des Kleides bestand in einem schmalen Gürtel aus matt glänzenden Seidenschnüren, die von einer silbernen Schnalle zusammengehalten wurden, und einer zarten, weißen Rüschenspitze, die das Kinn umspielte.
„Sie sehen aus wie einst Königin Elisabeth, als sie dem Earl of Essex das Haupt abschlagen ließ“, bemerkte Sukey.
Trotz ihrer Nervosität musste Amanda plötzlich laut lachen. „Einen gewissen Herrn würde auch ich gern enthaupten lassen“, sagte sie. „Stattdessen kommt er leider mit einer scharfen Rüge davon.“
„Dann besuchen Sie heute Ihren Verleger?” Sukeys schmales Gesicht erinnerte an ein vorwitziges Eichhörnchen.
Amanda schüttelte energisch den Kopf. „Er ist nicht mein Verleger und wird es auch nie sein. Das muss ich ihm heute Morgen klarmachen.“
„Ah.“ Das Gesicht der Zofe hellte sich auf. „Ein Herr, den Sie gestern beim Abendessen kennen gelernt haben? Bitte, sagen Sie es mir, Miss Amanda … sieht er gut aus?“
„Das habe ich nicht bemerkt“, erwiderte sie ein wenig zu barsch.
Sukey unterdrückte ihr Entzücken und eilte davon, um Amandas schwarzes Wollcape zu holen.
Nachdem sie es ihr um die Schultern gelegt hatte, kam der Diener Charles von der Haustür zurück. „Miss Amanda, die Kutsche ist vorgefahren.“ Sein Gesicht war von der bitterkalten Novemberluft gerötet. Ein frischer, eisiger Hauch hing in seiner Livree und mischte sich mit dem trockenen Geruch seines weiß gepuderten Haars. Er nahm die Kniedecke, die auf einem Stuhl in der Diele lag, und legte sie ordentlich über den Arm. Dann begleitete er Amanda zur Haustür. „Gehen Sie vorsichtig, Miss Amanda“, ermahnte er sie. „Die oberste Treppe ist vereist. Es ist feucht heute.“
„Danke, Charles.“ Amanda schätzte die Fürsorglichkeit des Dieners. Auch wenn er nicht die für einen Butler erforderliche Körpergröße hatte – bei den meisten feinen Familien achtete man darauf, dass die Diener mindestens einen Meter siebzig groß waren –, machte Carles diesen Mangel durch seine Tüchtigkeit wett. Er war der Familie Briars – und jetzt Amanda – treu ergeben und hatte sich während seines nahezu zwanzigjährigen Dienstes niemals beschwert.
Das schwache Morgenlicht verzauberte die schmalen Häuser vom Bradley Square. Ein kleiner, mit einem Eisenzaun umgebener Garten trennte die Häuserreihen. Hartnäckig
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