Nacht der Leidenschaft
sich der Millionengrenze näherte.
„Er ist wie ein Komet“, vertraute ihr Fretwell an und rückte die Brille mit gewohnter Umständlichkeit zurecht. „Es scheint mir mit den Füßen nicht mehr am Boden zu sein. Ich kann mich nicht erinnern wann ich ihn das letzte Mal eine vollständige Mahlzeit einnehmen sah. Und ich bin sicher, dass er kaum noch schläft. Er bleibt an seinem Schreibtisch sitzen, wenn die anderen längst nach Hause gegangen sind, und am nächsten Morgen ist er als Erster zur Stelle.“
„Was treibt ihn so an?“, fragte Amanda. „Man könnte doch meinen, Devlin würde endlich einmal eine Pause einlegen und sich an dem Erreichten freuen.“
„Ja, das könnte man meinen“, antwortete Fretwell düster. „Wahrscheinlicher ist aber, dass er früh unter der Erde liegen wird.“
Amanda drängte sich die Frage auf, ob es ihretwegen sei. Vielleicht versuchte er sich mit Arbeit zu betäuben, sodass ihm kaum Zeit blieb, über das Ende ihrer Affäre nachzudenken. „Mr. Fretwell“, sagte sie mit verlegenem Lächeln, „hat er in letzter Zeit meinen Namen erwähnt … das heißt … hat er Sie gebeten, mir etwas auszurichten?“
Das Gesicht des Geschäftsführers blieb undurchdringlich, es sagte nicht das Geringste darüber aus, ob Jack eine Andeutung über sein Verhältnis oder seine Gefühle für sie gemacht hatte. „Er scheint mit den Umsätzen der ersten Folge von Eine unvollkommene Frau sehr zufrieden zu sein“, antwortete Fretwell ein wenig zu fröhlich.
„Ja. Danke.“ Amanda schluckte ihre Enttäuschung herunter und stellte ein gequältes Lächeln zur Schau.
Jack war also bemüht, ihre Beziehung zu vergessen. Ihr blieb demnach nichts anderes übrig, als es ihm nachzutun.
Sie nahm wieder Einladungen an und zwang sich, zu lachen und mit ihren Freunden zu plaudern. In Wahrheit konnte jedoch nichts ihre Einsamkeit zerstreuen. Sie ertappte sich, wie sie ständig darauf wartete, dass einer ihrer Gesprächspartner den Namen Jack Devlin erwähnte. Natürlich war es unvermeidlich, dass sie ihn eines Tages bei einer der vielen Einladungen treffen würde. Diese Vorstellung erfüllte sie mit Furcht und Freude zugleich.
Als Amanda Ende März zu einem Ball der Stephensons eingeladen wurde, mit denen sie nicht sehr bekannt war, war sie überrascht; sie erinnerte sich vage, das ältere Ehepaar im vergangenen Jahr auf einem Fest ihres Anwalts Thaddeus Talbot kennen gelernt zu haben. Die Stephensons besaßen Diamantminen in Südafrika, die dem Glanz ihres alten, ehrbaren Namens zusätzlich die Aura von großem Wohlstand verliehen.
Schon allein aus Neugier nahm Amanda die Einladung an. Zu diesem Anlass trug sie ihr schönstes Kleid, ein Meisterstück der Schneiderkunst in blassrosa Satin mit einem riesigen Kragen aus gerüschtem weißem Tüll, der ihre wohlgeformten Schultern freiließ. Die schwingenden Röcke raschelten, wenn sie sich bewegte, und gaben ab und zu einen Blick auf ihre eleganten, mit rosafarbenen Schleifen verzierten Abendschuhe frei. Das Haar hatte sie zu einem lockeren Knoten aufgesteckt, aus dem ein paar lockige Strähnen an Wangen und Nacken herabhingen.
Stephenson Hall war ein typisch englisches Haus, eine klassische Architektur aus roten Backsteinen mit weißen, korinthischen Säulen, die sich auf einem gepflasterten Vorplatz erhoben. Die Decke des Ballsaals zeigte Allegorien der vier Jahreszeiten in Trompe-l’œil-Malerei. Hunderte von Gästen drängten sich unter dem schimmernden Licht zweier riesiger Kronleuchter, wie Amanda sie noch nie gesehen hatte.
Gleich nach ihrem Eintreffen wurde Amanda von dem ältesten Sohn der Stephensons begrüßt. Kerwin war ein korpulenter Mann Anfang dreißig, der sich bizarr ausstaffiert hatte. In seinem Haar steckten mit Diamanten verzierte Nadeln, die Schnallen seiner Schuhe waren mit Diamanten besetzt, er trug Diamantenringe an jedem Finger, Diamantenknöpfe . Diamanten, wohin man schaute. Amanda konnte sich an dem außergewöhnlichen Anblick nicht satt sehen. Diesem Mann war es gelungen, jeden Teil seines Körpers mit Juwelen zu schmücken.
Stolz ließ er eine Hand über die glitzernde Vorderseite seines Jacketts gleiten und lächelte sie an. „Umwerfend, nicht wahr?“, meinte er. „Ich sehe, dass meine Brillanten Sie beeindrucken.“
„Es tut fast weh, Sie anzusehen“, sagte Amanda sarkastisch.
Er entschloss sich, ihre Antwort als Kompliment aufzufassen, beugte den Kopf und murmelte verschwörerisch:
„Und stellen Sie sich
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