Nacht der Versuchung
um den Griff. »Meine Dienstwaffe von 1939 bis 1945. Ich habe sie damals nicht abgeliefert, sondern gut geölt versteckt. Später dann, als die Taxiüberfälle begannen und eine Großstadt wieder zum gefährlichen Dschungel wurde, habe ich sie aus dem Versteck geholt und trug sie heimlich bei mir. Ich habe nie geglaubt, daß ich sie wirklich einmal benutzen müßte.«
»Herr Baurat …« Pommer versank in einem Meer aus Angst und Feigheit. Er hob seine zitternden Hände und versuchte, einen Schritt auf Bernhardt zuzugehen. Aber seine Beine versagten, er schwankte bloß und alles Blut wich aus seinem Gesicht. »Machen Sie sich nicht unglücklich! Man kann Mißverständnisse aufklären … Ich bitte Sie, Herr Baurat!«
Hubert Bernhardt nahm die Pistole wieder vom Tisch. Es knackte leise, als er den Sicherungsflügel herumschob. Pommers Augen weiteten sich unnatürlich.
»Herr Bernhardt«, stotterte er. »Ich flehe Sie an … wir können doch in aller Ruhe … lassen Sie sich nicht hinreißen …«
»Ich handle nicht im Affekt«, sagte Bernhardt ganz ruhig. »Das hier ist eine Hinrichtung! Menschen wie Sie dürfen nicht leben. Ob es nach dem Gesetz ist oder nicht, das kümmert mich nicht mehr. Ich werde mich in einigen Minuten, wenn alles vorbei ist, der Polizei stellen. Ich bin ein alter Mann, und ich habe mein Leben gelebt. Aber meine Tochter soll von allem befreit werden, das ihr Leben zerstören könnte. Mein Kind ist meine Welt, und für das Glück und die Ehre meines Kindes werde ich sogar zum Mörder. Verstehen wir uns, Pommer?«
»Herr Bernhardt!« Pommers Stimme wurde schrill. Er schielte zum Fenster … es war zu weit entfernt. Er sah zur Tür. Sie war verschlossen, und ehe er klopfen konnte, würde Bernhardt schießen. Das Telefon war ausgeschaltet. Er stand in einer Todeszelle, es gab kein Entrinnen mehr. »Noch ein Wort, Herr Baurat!« schrie Pommer grell. »Ich schwöre Ihnen, daß …«
Hubert Bernhardt winkte ab. »Was sind Schwüre aus Ihrem Mund.« Er sah kurz auf seine Uhr. »In einer Stunde ist die offizielle Dienstzeit des Untersuchungsrichters zu Ende. Ich möchte sie einhalten, um Herrn Amtsgerichtsrat Dr. Zinner nicht auch noch die verdiente Ruhe und Freizeit zu stehlen.«
Mit einem Schrei riß Pommer einen Stuhl an sich, hob ihn hoch und hielt ihn schützend vor seinen Körper. »Hilfe!« brüllte er. »Hilfe! Mörder!«
Baurat Bernhardt hob die Pistole. Sein Gesicht, bleich und ausdruckslos, versteinerte noch mehr. Auch er stand nun an der Grenze seines Lebens, und der Schuß, der Pommer tötete, wird auch das Leben des Baurats Bernhardt auslöschen.
»Diese alten Pistolen haben eine große Durchschlagskraft«, sagte er langsam und betont. »Der Stuhl nützt Ihnen gar nichts, Pommer.«
»Zum letztenmal: Ich flehe Sie an, Herr Baurat!« brüllte Pommer. Die Augen quollen ihm über seine Glattheit, sein ebenmäßiges Gesicht, das die Frauen so faszinierte, verwandelte sich zu einer Fratze, zu einem Froschgesicht. Schweiß rann ihm über die Augen, kalter, klebriger Angstschweiß. In diesen Minuten der Todesfurcht büßte er für alles, was er in seinem Leben an Schuftereien begangen hatte. Er wußte, daß es keinen Sinn hatte, zu flehen, zu betteln und zu hoffen, daß Bernhardt die Pistole wieder sinken ließ und ihm das Leben schenkte. Und trotzdem versuchte es Pommer noch einmal in letzter, wimmernder Verzweiflung; er hob den Stuhl hoch, ließ ihn dann fallen, breitete die Arme aus und blickte zitternd an die Zimmerdecke.
»Ich schwöre Ihnen, daß ich morgen früh abreise … daß ich nie wiederkomme … daß … daß … Nein! Schießen Sie nicht! Nein!«
Pommers letzter Blick erfaßte Baurat Bernhardt und das kleine runde Loch der Pistolenmündung. Dann spürte er einen Schlag in seiner Brust und bemerkte, wie ein winziges Pulverwölkchen aus dem schwarzen Loch schwebte, hörte einen ganz, ganz fernen Knall, so, als wenn jemand in die Hände klatscht … aber die Zimmerdecke wurde merkwürdig rot und das Licht erlosch langsam … Noch einmal riß er die Augen auf, sah sich auf dem Teppich liegen, halb auf der Seite; in seiner Brust brodelte es wie in einem Wasserkessel …
»Nein …«, stammelte er kaum hörbar. »Nein … nein …«
Dann sank die große Finsternis über ihn. Der Körper streckte sich.
Fred Pommer war tot.
Baurat Hubert Bernhardt steckte ruhig die Pistole wieder in die Tasche seines Ulsters, schloß die Tür auf, verließ das Zimmer 167, fuhr mit dem Lift
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