Nacht ohne Schatten
Künstlergemeinschaft, ein Schlag ganz besonders natürlich gegen Nada, entsetzlich, nicht wiedergutzumachen, eine grandiose Schweinerei, doch niemand in der Kunstfabrik habe vor, sich unterkriegen zu lassen â¦
»Auch Nada nicht?«
Paul Klett verstummt, offensichtlich überrascht, dass Judith seine vagen politischen Spekulationen und Anschuldigungen unverzüglich ins Persönliche lenkt.
»Natürlich nicht.«
»Sie haben ein Verhältnis mit ihr.«
»Was tut das zur Sache?«
»Haben Sie schon mit Nada über die Zerstörung ihres Ateliers gesprochen?«
»Wie denn? Ich erreiche sie nicht.« Der Künstler stützt die Ellbogen auf den Tisch, verbirgt das Gesicht einen Moment inden Händen. Eine Geste echter Verzweiflung oder ein kalkuliertes Spiel? Er fährt sich durchs dunkle, grau durchwobene Haar, was die Armmuskulatur unter seinem eng anliegenden Sweatshirt vorteilhaft zur Geltung bringt. Seine Kunst ist vollkommen anders als die von Thea Markus. Gemälde, groÃflächig und sparsam koloriert, hängen an den Wänden seines akkurat aufgeräumten Atelierraums im Erdgeschoss, den die Flammen verschont haben. Wenige Striche und Farben pro Bild, in beinahe grafischer Anordnung. Miniaturen auf Spanplatten stehen für wenige Euro zum Verkauf bereit. Die Leinwandbilder sind hingegen horrend teuer. Judith fragt sich, ob es dafür Käufer gibt und was diese in ihnen sehen.
»Beschreiben Sie mir Ihre Beziehung zu Nada.«
»Thea hat sie protegiert und in die Kunstfabrik gebracht. Anfangs habe ich nicht verstanden, warum, hielt Nada für ein hübsches junges Ding, das sehr gekonnt mit seinen Reizen spielte, arrogant und rotzfrech, nicht ernst zu nehmen.« Er lacht. »Aber dann erlebte ich ihre erste Liveperformance, und da verstand ich, was Thea in ihr sah.«
»Nämlich?«
»Ein Ausnahmetalent. Es gibt kaum jemanden, der eine so gewaltige Bildsprache entwickelt wie Nada. Man ist gepackt davon, ob man will oder nicht.«
»Und dann wurden Sie auch von Nada selbst gepackt.«
Wieder lacht Paul Klett. »Ja, so kann man es tatsächlich sagen. Ich hatte natürlich Skrupel wegen Thea. Aber Nada war ziemlich unwiderstehlich, nachdem sie sich entschieden hatte, mich zu verführen.«
»War es nicht eher umgekehrt?«
Ich irre mich nicht, die Lösung liegt hier. Irgendwo in der Kunstfabrik, denkt Judith müde. Aber ich kann sie noch nicht sehen. Ich taste mich durch ein komplexes Beziehungsgefüge, verzweifelt bemüht, im Dunklen zu sehen. Ich habe nur ein Messer, das ist nicht genug.
»Alternder Künstler verführt junge Aspirantin, meinen Sie«,sagt Paul Klett. »Nein, so war es nicht, da unterschätzen Sie Nada.«
Eine Frau, die sich nimmt, wen und was sie will. Das hat auch Thea Markus schon gesagt. Judith streicht Haarsträhnen aus ihrem Gesicht.
»Und wie hat Frau Markus reagiert?«
»Wortlos, auf ihre Art. Sie ist viel zu stolz, ihre Gefühle zur Schau zu stellen.«
»Okay, Nada hat Sie also verführt. Und weiter.«
»Vor etwa einem Jahr war das.« Der Maler hebt die Hände. »Ja, stimmt, ich habe mich nicht wirklich gewehrt. Für Thea war es natürlich hart, und das tut mir auch leid, aber nach dem ersten Mal war ich Nada einfach verfallen.«
Gepackt. Verfallen. Das sind Worte für starke Gefühle, die sich, wenn sie enttäuscht werden, durchaus in ein ungutes Gegenteil verkehren können. Judith sieht dem Künstler in die eisblauen Augen. Hat er Nada umgebracht? Möglich, ja. Doch nichts spricht dafür, dass er auch Wolfgang Bergers Mörder ist und den Brand in der Pizzeria gelegt hat. Und seine Sorge um Nada wirkt echt.
»Nach allem, was ich höre, sind Sie nicht der Einzige, der Nada verfallen ist.« Ein Wochenende ist so verdammt wenig Zeit. Warum hat sie sich im Morgenmeeting so weit aus dem Fenster gehängt?
»Hat Thea Ihnen das erzählt?« Paul Klett lächelt zynisch. »Ja, natürlich. Und ich kann nicht widersprechen â schlieÃlich hat sie recht.«
»Und das hat Sie nicht gestört?«
»Meine Akzeptanz war der Preis, den ich zu bezahlen hatte.«
Bezahlen. Noch ein interessantes Wort. Paul Klett scheint Judiths Misstrauen zu spüren, er kratzt seinen akkuraten Bart, lehnt sich dann vor, Vertraulichkeit simulierend. »Hören Sie, natürlich bin ich eifersüchtig. Aber
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