Nacht ueber den Highlands
Kästchen wieder verstaut hatte, erstarrte sie. »Ach, jetzt habe ich meine Laute gar nicht dabei.«
Stryders Blick richtete sich unwillkürlich auf die große Truhe mit seinen persönlichen Habseligkeiten. In dieser Truhe befand sich ganz unten, versteckt unter all den anderen Sachen, die Laute, die er seit dem Tod seiner Mutter nicht einmal mehr angesehen hatte.
Sie war am selben Tag wie seine Mutter verstummt.
»Ich habe eine.« Die Worte waren heraus, ehe er es verhindern konnte.
Rowena schien mindestens ebenso überrascht zu sein wie er. Er wusste selbst nicht, warum er ihr den größten Schatz offerierte, den seine Mutter besessen hatte.
Stryder erhob sich zögernd und schritt zu seiner Truhe. Er schlug den Deckel auf. Darinnen lagen das Schwert seiner Familie, seine Kleidung und andere Dinge des täglichen Gebrauchs. Abgesehen von dem Lautenkasten am Boden der Truhe ...
Sie lag noch genau dort, wo er sie vor all den Jahren hingetan hatte, tief unter seiner Kleidung versteckt.
Rowena trat näher und blickte Stryder forschend an. Mit einem Ausdruck unendlicher Traurigkeit holte er einen schwarzen Lautenkasten hervor.
Plötzlich begriff sie. »Die gehörte Eurer Mutter?«
Er nickte nur.
»Ich kann meine holen, das dauert nur -«
»Nein, Rowena. Wir alle müssen uns irgendwann der Vergangenheit stellen. Wenn ich ihren Geist schon heraufbeschwören muss, dann tun wir es lieber gleich.«
Sie wusste nicht genau, was er damit meinte, und runzelte die Stirn.
Er holte tief Luft und öffnete den Kasten. Darinnen lag eine der schönsten Lauten, die sie je in ihrem Leben gesehen hatte. »Die ist wunderschön.«
Stryder nickte. »Mein Vater hat sie ihr geschenkt, als sie ihm mitteilte, dass sie mit mir schwanger war. Er hat sie extra aus Paris bestellt.«
Zu ihrem Erstaunen überreichte er ihr die Laute. Rowena nahm sie mit dem größten Respekt entgegen. Sie hatte nicht den leisesten Kratzer. Seine Mutter war ganz offensichtlich äußerst sorgfältig mit dem Instrument umgegangen.
»Warum habt Ihr sie dabei?«
»Die Laute und ihr Ring sind alles, was ich noch von ihr habe. Sie war vielleicht keine gute Ehefrau, aber dafür eine umso bessere Mutter. Eine wunderschöne Frau, die an die höfische Liebe glaubte, wie sie an Eleanors Hof besungen wird, eine Liebe, die sich nur außerhalb der Ehe finden lässt.«
Ihre Blicke begegneten sich und die Kälte, die sie in seinen Augen las, ließ sie erschaudern.
»Ich glaube das nicht«, gestand sie ehrlich. »Ich glaube, die Liebe findet sich immer dort, wo man sie am wenigsten erwartet. Der größte Wunsch meines Vaters war, dass ich einmal einen Mann heirate, den ich aufrichtig liebe. Er sagte oft, dass man aus keinem anderen Grunde heiraten sollte. Tatsächlich sagt Andre der Kaplan, der manchmal in Eleanors Entourage reist, dasselbe. Er ist der Meinung, dass die Liebe auf die Ehe beschränkt sein sollte.«
»Sagen das auch Eure Lieder?«
»Aye. Ich singe von Menschen, die über große Hindernisse zueinander finden, um dann den Rest ihres Lebens in Glück und Seligkeit zu verbringen.«
»Dann singt mir ein solches Lied, Rowena. Ein Lied über ein Paar, das innerhalb der Ehebanden sein Glück fand. Ich will nichts über Lug und Trug hören.«
Stryders Worte kamen aus tiefstem Herzen und das berührte sie mehr, als sie für möglich gehalten hätte.
Sie nickte, setzte sich mit der Laute in seinen Schreibtischsessel und begann das Instrument zu stimmen.
Stryder lauschte, während sie die Laute seiner Mutter wieder zum Leben erweckte. Er hatte eigentlich gedacht, dass die Saiten inzwischen verrottet sein müssten, doch zupfte Rowena sie mit solcher Behutsamkeit und solchem Geschick, dass keine einzige riss.
Sie stimmte ein zartes Lied an. Ihr Gesang klang in seinen Ohren engelsgleich, ja überirdisch. Druce hatte Recht. Sie war unvergleichlich.
Und so sang sie ihm eine Ballade von einem Falkner und einem Milchmädchen, die, obwohl sie in völlig anderen Welten lebten, zueinander fanden und heirateten.
Als sie ihr Lied beendet hatte, saßen sie einen Moment lang schweigend da.
»Ein Falkner«, sagte er sinnend. »Dann glaubt Ihr also nicht daran, dass auch Hochgeborene die wahre Liebe finden können?«
»Doch, das glaube ich schon. Nur habe ich es bis jetzt noch nie erlebt.«
Stryders Gedanken wanderten zu seinem Freund Simon von Ravenswood und Simons Frau Kenna. »Ich schon. Es ist sehr schön zu erleben, wie zwei Menschen heiraten, die lieber sterben
Weitere Kostenlose Bücher