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Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)

Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)

Titel: Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myrna E. Murray
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Morgenmantel und mit wilden Haaren vor dem Spiegel … doch dann tragen mich das Lied und die Intensität der Stimmen davon.
    Während ich den Text intoniere, habe ich gleichzeitig eine entsprechend diabolisch-beschwörende Grimasse aufgesetzt. Außerdem flirte ich mit dem Spiegel, als wäre er ein lang vermisster Geliebter. Ja, so muss sich ein gefeierter Rockstar fühlen! Das Lied verklingt und ich verbeuge mich theatralisch. Doch bevor ich mich erholen kann, startet das Intro von Pinks Trouble .
    Von dem Moment an hält mich nichts mehr und ich rocke mit bebender Stimme, fliegenden Haaren und leichter Luftgitarre durch die Suite. Ein paar beherzte Sprünge auf dem Bett komplettieren meine Performance. Auch dieses Lied klingt aus und das Folgende kenne ich nicht. Es ist aber getragen. Eine Ballade – warum das denn jetzt? Es war trotzdem ein gelungener Auftritt. Danke Wembley …
    Als ich nun mein vor Energie glühendes Gesicht im Spiegel betrachte, kann ich nicht anders. Ich muss einfach laut auf- und dann prustend loslachen – dann lasse mich fallen und lande auf dem weichen Teppich. Eine Weile liege ich da und lache einfach nur. Und was soll ich sagen? Es erlöst. Nur langsam kriege ich mich wieder ein und genieße den Augenblick. Plötzlich ist sie wieder da, meine gute Laune, und ich raffe mich auf, das Schiff trotz bereits etwas fortgeschrittener Stunde erneut zu erkunden.
    Wer kann mir den Himmel rauben? Und vor allem, wer wäre so dumm, es versuchen zu wollen?
     
    Einige Zeit später sitze ich einer ziemlich lockeren Runde von Nachtschwärmern im Wintergarden Café auf Deck 7. Die kleinen Sitzgruppen bestehen aus gut gepolsterten Rattanmöbeln. Dazu passend kleine, schwarz lackierte Beistelltische. Die Decke über uns ist eine wunderschöne Stuckdecke mit pastellfarbenen Motiven. Dort, wo der cremefarbene und mit grünen Tabakblättern verzierte Teppich etwas vom Boden zeigt, besteht dieser ebenfalls aus cremefarbenen, marmorierten und blank polierten Bodenplatten.
    Man hat beinahe das Gefühl, auf der Terrasse einer alten Südstaatenplantage zu sitzen. Selbst die Palmen, die hier stehen, sind echt. Wäre jetzt jemand im Stil der Kolonialzeit gekleidet hier hereingerauscht, umgeben von einer Schwadron farbiger Bediensteter, es hätte mich nicht verwundert. Aber zum Glück haben wir das hinter uns.
    Die hier versammelte, kleine Gruppe besteht aus aufgeschlossenen, in Geist und Gesinnung noblen und vor allem aufgeklärten Menschen … theoretisch jedenfalls. Alle sind sie Mitglieder der alteingesessenen High Society … oder zumindest so vermögend, dass sie von diesen toleriert werden. Und ich mittendrin. Wer von uns jedoch der Wolf im Schafspelz ist, bleibt noch abzuwarten. Amüsiert lausche ich den teils absurden, teils aufschlussreichen Gesprächen der illustren Runde, welcher ich mich ohne große Schwierigkeiten angeschlossen habe.
     
    Für den heutigen Abend habe ich extra das schwarze Etuikleid, gewählt, in dem ich immer ein wenig wie Audrey Hepburn aussehe. Es ist ein Originalkleid aus den 60er-Jahren und ich bin sehr stolz darauf. Dazu hochhackige Pumps, die sind neu, und eine doppelreihige Perlenkette – auch original. Was man hat, das hat man. Entsprechend habe ich mein Haar in einer hochgesteckten, sehr eleganten Frisur gebändigt. Eben ganz Dame. Es stecken pfundweise Haarnadeln darin. Diese halten meine Frisur so bombensicher, als wäre sie in Beton gegossen worden. Das kann allerdings auch an der halben Dose Haarspray liegen, derer ich mich zusätzlich bedient habe. Auf die langen Handschuhe verzichte ich. Das ist mir dann doch zu viel.
    In dieser Aufmachung hält man sich automatisch kerzengerade, dennoch verfehlt sie ihre Wirkung nicht. Vor allem nicht in einer Umgebung wie dieser. Amüsiert registriere ich jeden Blick, der auf mich fällt. Die meisten davon natürlich rein zufällig – das versteht sich von selbst. Was würde Ben wohl sagen, wenn er mich so sähe? Wahrscheinlich etwas Unflätiges. Um meine Gedanken von ihm abzulenken, mustere ich die kleine Runde erneut und lasse mich auf die mich umfliegenden Gesprächsfetzen ein.
    Mir gegenüber sitzt ein kleines Duo Infernale in Form von Mutter und Tochter. Mutti ist eine gute Frau, so Anfang bis Mitte 50. Vielleicht ist sie auch schon Anfang 60 und nur gut geliftet. Oder ist das Botox, das ihr Gesicht so … jugendlich … erstrahlen lässt? Wer weiß das schon so genau. Davon abgesehen ist sie eine sehr gepflegte und vornehme

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