Nachtflug Zur Hölle
Sie erwiderte seine Geste. »Was gibt’s Neues, Vitalis?« fragte Palcikas.
»Verschiedene Dinge, General«, antwortete Zukauskas, indem er Palcikas mehrere Notizzettel in die Hand drückte. »Ich glaube, wir sollten Miss Kulikauskas lieber bitten, draußen zu warten.«
»Nein. Ich habe sie mitgebracht, um sie in unsere Planung einzuweihen.«
»Halten Sie das für klug, General?« fragte Zukauskas verblüfft.
»Ich darf feststellen, daß Miss Kulikauskas als entschiedene Militärgegnerin bekannt ist.«
»Um so dringender muß sie unsere Pläne erfahren«, behauptete Palcikas. »Wir brauchen ihre Unterstützung. Bleibt sie uns versagt, müssen wir unsere Planung vielleicht ändern. Anna, nehmen Sie bitte Platz, Oberst, bringen Sie uns auf den neuesten Stand des ›Unternehmens Festung‹.«
Zukauskas wirkte noch immer skeptisch, aber dann hängte er die Wandkarte von ganz Litauen wieder auf und begann langsam zu erklären, um was es bei dem ›Unternehmen Festung‹ ging…
Als sein Vortrag fünf Minuten später zu Ende ging, saß Anna schockiert da. »Sind Sie zu einem Unternehmen dieser Art überhaupt berechtigt?« fragte sie Palcikas.
»Ich denke schon«, antwortete der General. »Ich habe den Auftrag, dieses Land zu schützen – und genau das versuche ich zu tun.«
»Was passiert, wenn das Parlament beschließt, Ihr Unternehmen oder die ausländische Hilfe, die Sie nach Aussage des Obersten brauchen, nicht zu genehmigen?«
»Bekommen wir keine ausländische Hilfe, machen wir allein weiter«, sagte Palcikas. »Unterstützt uns das Parlament dagegen nicht einstimmig, ziehen wir uns zurück. Ich will keinen militärischen Staatsstreich und habe nicht vor, ohne ausdrückliche Zustimmung von Volk und Regierung zu handeln. Fordern sie mich zum Aufhören auf, höre ich auf.«
»Wer garantiert uns, daß Sie tatsächlich aufhören?« fragte Anna.
Palcikas zog die Augenbrauen hoch. »Fällt es Ihnen wirklich so schwer, mir zu vertrauen, Anna?« erkundigte er sich. »Was hat das Militär Ihnen angetan, daß Sie uns so hassen?«
»Ich habe eine legitime Frage gestellt, General«, entgegnete Anna, »und wenn Sie sie auf sich beziehen, ist das Ihr Problem. Aber ich bin sicher, daß Präsident und Ministerpräsident eine Antwort verlangen werden. Also – wie lautet sie?«
Palcikas machte eine nachdenkliche Pause. Natürlich war ihre Frage legitim. Das Militär war nicht immer vertrauenswürdig. Korrupte Generale hatten schon ganze Staaten ruiniert – und die Republik Litauen war nie verwundbarer gewesen als gerade jetzt. »Warten Sie hier auf mich«, forderte er Anna auf und verließ rasch sein Dienstzimmer.
Wenige Minuten später kam Palcikas in Begleitung eines bewaffneten jungen Soldaten zurück. »Korporal Manatis«, befahl er ihm, ohne Anna aus den Augen zu lassen, »übergeben Sie es Miss Kulikauskas.«
Der junge Soldat trat vor. In den Händen hielt er das zum Teil in die rote Kriegsfahne des Großfürsten gehüllte litauische Staatsschwert.
Oberst Zukauskas starrte ihn verständnislos an. »General, was zum Teufel soll das?«
»Dies ist mein Versprechen als litauischer Ritter und Bewahrer der Insignien«, sagte Palcikas. »Anna, ich übergebe Ihnen das litauische Staatsschwert und den Wytis von Major Alexei Kolginows Sarg.« Aus der rechten Brusttasche seiner Uniformjacke zog er ein mattglänzendes Armband. »Das ist Alexeis Namensarmband. Ich habe es ihm eben abgenommen.« Das blasse Gesicht des jungen Korporals bewies Anna, daß er die Wahrheit sagte. Palcikas legte das Armband so um die Parierstange des Staatsschwerts, daß es nicht abrutschen konnte.
»Nun, besitzen Sie alles, was mir auf dieser Welt etwas bedeutet, Anna; das Symbol unseres Staats, ein Symbol unserer Tradition und etwas aus dem Besitz meines gefallenen besten Kameraden. Korporal Manatis hat Befehl, Sie auf Schritt und Tritt zu begleiten und diese Gegenstände mit seinem Leib zu schützen, solange sie sich in Ihrem Besitz befinden. Ich kenne Georgi und seine Familie seit seiner Kindheit und würde ihm mein Leben anvertrauen – genau wie ich Ihnen jetzt diese Gegenstände anvertraue, Anna.
Sie überbringen sie bitte dem Präsidenten zum Beweis meiner Überzeugung, daß das ›Unternehmen Festung‹ den besten Interessen Litauens dient. Sollte das Parlament in Wilna sich nicht mit großer Mehrheit dafür aussprechen, beende ich das Unternehmen, ziehe meine Truppen ab und lege auf Wunsch den Oberbefehl nieder. Sollte die Zeit
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