Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Titel: Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Sinclair
Vom Netzwerk:
Mann um seinen gesunden Menschenverstand bringen würde, nein«, sagte Ishmael trocken. »Man ist nie gezwungen, eine Macht zu benutzen …« Als sie die Luft durch die Zähne zog, sagte er auf seine raue Art: »Schrecken Sie nicht davor zurück, gnädige Frau. Ihre Macht ist real, und sie gehört Ihnen. Sie sind nie gezwungen, sie auf eine Weise zu verwenden, die Ihnen falsch erscheint.« Diese Aussage ließ sich freilich einschränken, aber zunächst einmal genügte sie.
    »Ich will sie nicht«, sagte sie schroff.
    »Ich weiß«, erwiderte er. »Aber Sie haben sie.«
    »Ziehen Sie Ihre Handschuhe aus«, sagte sie plötzlich.
    »Was …«
    »Ziehen Sie Ihre Handschuhe aus.« Mit schnellen, ruckartigen Bewegungen entledigte sie sich der ihren. »Reichen Sie mir Ihre Hände. Ich will wissen, wer dieser Mann ist, der das Schlimmste von mir weiß.«
    Er umfasste die Armlehnen seines Stuhls. »Nein«, stammelte er. »Gnädige Frau, nein.«
    Ihre kleinen, bloßen Hände zitterten. Es war nicht ihre Macht, die er fürchtete und die ihn ihre Bitte hatte ablehnen lassen. Er hatte Angst, all das, was sie von und über ihn erfuhr, würde sie abstoßen. Seine Beschäftigung mit seiner Macht, seine Jahre als bezahlter Schattenjäger, seine Begegnungen mit den Schattengeborenen und der Ruf, der sein Inneres verdrehte und an ihm zerrte. Seine privaten Sünden und Qualen reichten schon aus, um ihre Berührung zu fürchten. Aber es gab eine Furcht, die noch größer war: Wenn sie entgegen seiner ausdrücklichen Ablehnung darauf bestand, ihn zu berühren, würde er wissen, dass er sie falsch eingeschätzt hatte und ihr nicht vertrauen konnte, ihre Macht gut einzusetzen.
    Eindringlich sagte er: »Verehrte Telmaine, Sie sollten das nicht tun wollen .«
    Sie schauderte, ein Ausdruck von Abscheu zeigte sich kurz auf ihrem Gesicht, und sie zog die Hände zurück und fuhr damit wieder in ihre Handschuhe, als stellten sie an sich etwas Unanständiges dar. »Es tut mir leid«, sagte sie. »Es tut mir leid.«
    Er wollte keinesfalls, dass sie aus Abscheu ihre Macht nicht anwendete, sondern sie lediglich aufgrund eines gesunden Urteils und aus Höflichkeit zurückhielt. Er sagte: »Wir nachtgeborenen Magier haben unsere eigene Obrigkeit, gnädige Frau, auch wenn diese weder von unserem eigenen Staat noch von dem der Lichtgeborenen anerkannt wird. Wir müssen uns selbst beherrschen, wenn wir nicht mit dem Recht des Tempels in Konflikt geraten wollen. Ich behaupte nicht, dass wir alle vollkommen wären, aber wir sollten doch nicht in der Lage sein, die Schmerzen anderer wahrzunehmen, ohne sie lindern zu wollen, wenn wir das können. Das entspricht doch auch Ihrem eigenen Wesen: Oder wollen Sie mir weismachen, dass Sie nicht aus Freundlichkeit mit mir getanzt hätten.«
    Im Studio stöhnte Balthasar Hearne. Sie war sofort auf den Beinen und eilte zu ihrem Mann, um ihn mit ihrer Berührung zu beruhigen. Ishmael fragte sich, ob Hearne oder ihre beiden Töchter vor dieser Geschichte jemals auch nur einen Tag krank gewesen waren oder irgendwelche Wehwehchen gehabt hatten. Er bezweifelte es, aber es war zu früh, um Telmaine darauf hinzuweisen.
    Er erwartete nicht, dass sie zurückkam, und beschloss, auf die Glocke zum Sonnenuntergang zu warten. Sobald jemand anders, dem sie vertrauen konnte, eintraf, würde er sich verabschieden. Es gab noch andere Dinge, die sie über ihre Macht und die Verpflichtungen, die ihr daraus erwuchsen, wissen musste. Er konnte nur hoffen, es würde nicht zu spät sein, mit ihr darüber zu sprechen, sobald sie sich in einem belastbareren Zustand befand.
    Das Rascheln von Stoff – ihr Rocksaum – schreckte ihn aus einem ruhigen und unbestimmten Tagtraum auf. Er sondierte sie scharf, zu scharf, sodass er etwas von ihrer schönen Gestalt unter ihrem eleganten Kleid wahrnahm. »Dämpfen Sie Ihr Sonar, mein Herr!«, fuhr sie ihn an.
    »Es tut mir leid, gnädige Frau. Diesmal haben Sie mich erschreckt.«
    »Habe ich das?« Sie hatte Mühe zu sprechen. »Gut.«
    »Geben Sie acht, dass Sie Ihre Energie nicht zu sehr verbrauchen«, warnte er sie; er hatte die Müdigkeit aus ihrer Stimme herausgehört und kannte deren Ursache.
    »Ich kann sie verbrauchen, wie ich will.«
    Er lächelte gequält; er hatte mit gleicher Arroganz, aber noch weniger Grund genauso geantwortet, bevor bittere Erfahrung ihn eines Besseren belehrt hatte. Er deutete auf ihren Stuhl. »Ich glaubte, Sie hätten sich zu Ihrem Mann gelegt und wären wieder

Weitere Kostenlose Bücher